Ohne Zweifel, die Corona-Krise hat das mobile Arbeiten katapultartig befördert. Digital geht ganz viel, so die neue Erfahrung. Virtuelle Meetings sind aus den Firmen nicht mehr wegzudenken.
Das ist nun wirklich nicht neu. Die Informationstechnik sorgt schon seit langem dafür, dass immer mehr Arbeiten vom Betrieb als Ort der Arbeit getrennt werden können. Doch das Beharrungsvermögen der meisten Unternehmen hat die Umsetzung dieser Erkenntnis bisher gründlich ausgebremst.
Wenn die Corona-Krise sich ihrem Ende nähert,stellt sich für die Unternehmen die Frage, wie es nun weitergeht. Allen ist klar, dass es einen Weg zurück, wie vor der Epidemie, nicht mehr geben wird. Doch die Unternehmen reagieren sehr unterschiedlich. Die einen sagen, vorneweg viele highTec-Vorzeigefirmen (z.B. Facebook), arbeitet weiter von zu Hause aus, andere – auch highTec-Vorzeigefirmen (z.B. Apple) – wollen, dass die Leute wenigstens drei Tage in der Woche an ihren Arbeitsplatz im Betrieb zurückkehren. Und wieder andere (z.B. SAP) reagieren vorsichtig, sozusagen im Experimentiermodus. Es fehle an Erfahrungen mit dem "hybriden Arbeiten", man wisse nicht, wie sich die Epidemie im bevorstehenden Winterhalbjahr weiterentwickle, und man könne sich auch leider nicht auf die Politik verlassen, das sorgt für genügend Unsicherheit.
Positiv werden der Gewinn an zeitlicher und räumlicher Autonomie von den meisten betroffenen Beschäftigten sowie die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie vermerkt. Weniger Fahrtzeiten zwischen Betrieb und zu Hause und natürlich dadurch auch weniger Kosten.
Doch der Enthusiasmus ob der vielen virtuellen Meetings hat in letzter Zeit auch deutlich nachgelassen. Die Videokonferenzen seien zu lang, zu häufig und zu langweilig, psychisch anstrengend und auch keineswegs die Spitze der Produktivität. Das Gewirr von unterschiedlichen Tools, Geräten, Lizenzen und Supportleistungen nervt, zunehmende Aufmerksamkeitsprobleme werden beklagt. Genug Indizien, um genauer hinzusehen.
Ein wichtiger Grund, warum es überhaupt Unternehmen gibt, ist das Erfordernis der Zusammenarbeit. Je komplexer die Dinge werden, desto weniger ist die Arbeit die bloße Summe der Arbeiten einzelner; vielmehr erwächst ihre Qualität aus der Kooperation unterschiedlicher Menschen. Das Ganze ist deutlich mehr als die Summe der Teile. Und eine der wichtigsten Aufgaben von Führungskräften ist es, dafür zu sorgen, dass Zusammenarbeit funktioniert, die nicht von selber geschieht.
Dort wo die Controller das Sagen haben, scheint es schon fast wie eine Faustregel: Auf bis zu 60 Prozent der ehemaligen Büroarbeitsplätze könne verzichtet werden, das spare immense Kosten. Die Beschäftigten erhalten dann ein booking tool und buchen sich ihre Arbeitsplätze in der Firma so, wie man das bei booking.com mit den Urlaubshotels macht. Das mag funktionieren, wenn die Arbeit im Wesentlichen durch Routine geprägte Einzelarbeit und nicht auf die direkte Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen angewiesen ist. Zur Klärung gelegentlicher Wissenslücken reicht dann für die meisten Fälle sicherlich ein gut organisiertes Back Office mit vernünftigen Informationssystemen.
Wenn aber die Arbeit mindestens auf einen Hauch von Kreativität angewiesen ist, ergibt sich eine andere Situation. Menschen sind von Natur aus kommunikative Wesen. Sicher haben auch Teams ihre festen Regeln. Aber neben dem, was man aufschreiben kann, gibt es viele informelle Prozesse. Zufälle, Sympathien und Gelegenheiten spielen eine wichtige Rolle für neue Ideen, und seien es auch nur kleine Verbesserungen der Abläufe. Das alles erfordert Begegnung. Volle elektronische Kalender, Hetze von einem Call in den nächsten, digitale Überflutung, verloren gegangener Teamgeist, Verlust reflexiver Phasen, verstärkte Sprachlosigkeit, das sind oft die Erscheinungsformen des nur virtuellen Arbeitens.
Die Identifikation mit der Arbeit droht weiter verloren zu gehen. Menschen haben eine intrinsische Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, auch nach Ankerpunkten für die Identifikation mit dem Unternehmen, für das sie arbeiten. Viele Beschäftigte brauchen so etwas wie einen Heimathafen. Sozialwissenschaftler beklagen die Erosion der Unternehmenskultur durch das Arbeiten auf Distanz. In Monaden entstünden keine gemeinsamen Welten, geschweige denn richtungweisende Ideen. Der Raum für Spontaneität wird spürbar verengt. Der Verlust des Kaffeeautomaten bedeutet auch ein Verlust informeller Prozesse. Passt, wackelt und hat Luft, so lautet eine Volksmundweisheit. Wenn nichts mehr wackelt und Luft hat, dann wird aus dem Passen schnell ein Klemmen.
Viele Führungskräfte haben ihre Probleme mit dem virtuellen Arbeiten. Fehlende Übung mit dem Umgang von Kontrollverlust, die dolce-vita-Vermutung, das sind einige der Problemfelder. Es fehlen Leitbilder, und wenn die Führungskräfte keine Naturtalente sind, dann stehen sie schnell im Regen.
Ganz problematisch ist es aber für Neulinge in der Firma, wenn sie eine Arbeit anfangen müssen ohne ihre Kolleginnen und Kollegen physisch zu treffen.
"Ob und wie mobil gearbeitet werden kann, besprechen Mitarbeiter und Führungskraft unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten",
so lautet die Direktive eines großen Unternehmens. Total richtig, dieser Satz, doch genauso total nutzlos, denn alles bleibt im Vagen hängen, und jeder ist so schlau wie vorher. Das Zurück zum status quo ist keine Lösung, darin sind sich alle einig. Unternehmen brauchen neue Leitbilder, auch das ist Konsens. Es gibt ja bereits eine Menge Versuche: Feste Tage mit Präsenzpflicht für meetings, Deep Work mit vereinbarten Präsenzzeiten im Home Office, Mindestnormen für die Arbeitsplatzausstattung zu Hause usw.
Doch per ordre de moufti geht es nicht, New Normal muss neu verhandelt werden, darüber zumindest besteht auch Einigkeit, ebenfalls darüber, dass es keine einheitlichen Konzepte für alle geben wird. Jedes Team, jede Organisationeinheit wird für sich herausfinden müssen, welche Anteile der Arbeit gut von einzelnen Menschen erledigt werden können und wo in welcher Form direkte Zusammenarbeit angesagt ist. Das stellt sich für eine Consulting-Firma oder den Außendienst eines Pharma-Unternehmens anders dar als für eine Konstruktionsabteilung oder die Leitstelle eines Stahl-Walzwerks. Bei den einen reicht eine gelegentliche Zusammenkunft zwecks Erfahrungsaustauschs um alle auf den neuesten Stand bringen, bei den anderen ist der direkte persönliche Arbeitskontakt nur um den Preis erheblicher Qualitätseinbußen verzichtbar.
Wenn es um Leistung geht, ist oft die Rede von Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Leistungsmöglichkeit. Für das Erste haben wir die Qualifizierung, fürs Zweite die Motivierungskünstler (die besser zu Hause bleiben sollten), und das Dreahen an der Schraube für die Leistungsmöglichkeit wird chronisch vergessen. Genau dies aber ist hier gefragt. Eine Maurerkolonne ist sicher in der Lage, aus sich heraus ihre Arbeit zu organisieren. Aber beim "hybriden Arbeiten", der anspruchsvollsten Art des mobilen Arbeitens, wird es dann schwierig. Hier sind die Unternehmen gefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.
Eher phantasielose Formen sehen die Festlegung von Tagen vor, an denen alle in der Firma sein müssen und Tagen, an denen den Beschäftigten freigestellt ist, auch von zu Hause (oder an einem anderen Ort ihrer Wahl) aus zu arbeiten. Bevor wir uns aber weiter mit unterschiedlichen Organisationsformen befassen, lässt sich eine Art Grundmuster für das hybride Arbeiten skizzieren. Gemeint ist die Arbeitsform, bei der ein Teil der Mitarbeitenden "vor Ort" ist und ein anderer Teil irgendwo außerhalb der betroffenen Organisationseinheit sind.
Zunächst braucht es einen Raum, in dem im Ausnahmefall das ganze Team, in jedem Fall aber ein großer Teil des Teams Platz hat. Es bedarf eines großen Bildschirms und einer Software, die es erlaubt, den gemeinsamen Raum sowie die dort nicht anwesenden Kolleginnen und Kollegen sowie Dokumente, an oder mit denen gemeinsam gearbeitet wird, sichtbar zu machen. Und natürlich eine Kamera und ein Mikrophon, das nicht aus der untersten Schublade des Baumarkts stammt. Die betroffenen Personen müssen schnell und sicher mit dem Equipment umgehen können, die notorische Viertelstunde am Beginn einer Videokonferenz, während der man sich mit den Nickeligkeiten der nicht so richtig funktionierenden Technik befasst, nervt einfach. Also braucht es ein bisschen Schulung, zumindest eine solide Einübung, wenn man sich den sich ständig wiederholenden Frust vergeudeter Zeit sparen will. Vorteilhaft wäre es auch, wenn das Unternehmen sich zumindest für einheitlich genutzte Software entscheiden könne und nicht jeder mit einem anderen Tool herumexperimentiert. Das alles kann man ja unter dem Gesichtspunkt der vielgerühmten usability getestet haben. Und es darf auch nicht passieren, dass sich Dutzende von Teams um die wenigen für solche Zusammenkünfte geeigneten Räume streiten müssen – hier ist Organisation gefragt, die nicht mit Einführung einer Booking-Software gelöst ist.
Das alles kostet ein Stück Geld. Einsparungen an dieser Stelle korrelieren direkt mit der sinkenden Qualität geleisteter Arbeit. Die hinter den Kulissen stehenden Controller, die im Geiste schon die Mehrausgaben mit den eingesparten Arbeitsplätzen verrechnet haben, sollten – zumindest zunächst einmal – die Füße stillhalten. Denn nichts schadet mehr, als wenn das Experimentierfeld neuer Arbeitsformen gleich mit der Angst der Beschäftigten um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze belastet wird.
Einige Firmen haben Modelle für unterschiedliche Organisationsformen entwickelt, zum Beispiel:
Für jedes Modell steht eine Art Blaupause zur Verfügung mit Bereitstellung des Equipments, der erforderlichen Logistik, organisatorischen Vorschlägen und einer Betreuung, wenn sich die Teams auf eines der Modelle geeinigt haben. Für das Equipment sind natürlich auch die ergonomischen Mindeststandards definiert. Checklisten für Mitarbeitende mit Hinweisen, was man nicht vergessen sollte, wenn man unterwegs ist, Anleitungen für Führungskräfte, Angebote von Schulungen als Präsenzverantstaltung oder digital, alles inbegriffen, einschließlich eines Aufmerksamkeitstrainings für die Gewährleistung der Systemsicherheit.
Allen Betroffenen ist klar: keiner hat den Stein der Weisen. Wie es nach Corona weitergeht, das erfordert Entscheidungen in Ungewissheit.
Die Thematik berührt sicher auch die Mitbestimmunsrechte der Betriebsräte. Man kann das eng sehen und sich auf die Arbeitsschutz- und Arbeitsstättenverordnung fokussieren. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfüllen die zahlreichen eingesetzten Softwaretools auch die Mitbestimmungsvoraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, dem Schutz vor einer technischen Überwachung von Leistung und Verhalten.
Aber alles das sind nicht die Arenen, wo die Musik gemacht wird. Es geht um grundlegende Fragen, wie Menschen in Zukunft zusammen arbeiten werden, es geht um Autonomie, Freiheit und Verantwortung, um die Unternehmens- und Führungskultur. Nichts ist gewiss, fast alles muss ausprobiert werden.
Diesen Prozess kann man dem Zufall überlassen, trial and error sozusagen, und zuschauen, was dabei herauskommt, im Vertrauen auf den technischen Fortschritt, den die IT-Firmen für uns schon richten werden. Damit würde das Feld allerdings weitgehend den Kriegsgewinnlern des Umbruchs überlassen, den Schlauköpfen, die ihren Profit aus der Orientierungslosigkeit ziehen und mit schnellen Initiativen ihre Claims abstecken, wie zum Beispiel Microsoft jetzt sich die Lufthoheit über die Schulen buchstäblich unter den Nagel gerissen hat.
Will man das nicht, so ist es höchste Zeit für ein gründliches Brainstorming. Dessen einfachster Teil sind noch die Mindestnormen für die Ausstattung hybrider Arbeitsräume und die rechtliche Gestaltung des Anspruchs, dass nicht der Betrieb alleiniger Ort der Arbeit sein muss.
Sicher kann jedes Unternehmen typische Arbeitssituationen ausmachen, die sich beispielsweise in Form von Profilen beschreiben lassen. Beginnen lässt sich damit, dass jedes Teammitglied seine Arbeitssituation beschreibt und darüber hinaus auch erkennbare Defizite und nicht genutzte Chancen bewertet. Dies setzt natürlich voraus, dass man zumindest eine grobe Vorstellung hat, was alles sich heute technisch unterstützen lässt. Nicht alles, was sich als technisch möglich darstellen lässt, muss auch sinnvoll sein. Deshalb sollte man Konsens darüber erzielen, was man von den technischen Benefits denn wirklich nutzen will.
Die genauer beschriebene Arbeitssituation lässt sich nun daraufhin untersuchen, welche Teile der Arbeit in welchem Ausmaß auf Zusammenarbeit angewiesen sind, einschließlich der wünschbaren Informationen, die als Unterstützung zur Verfügung stehen sollte. Dann lässt sich abschätzen, zu welchen Anteilen physische Anwesenheit aller oder einer Mehrheit der Teammitglieder wünschenswert oder erforderlich ist, was wiederum von den Ressourcen abhängt, z.B. der Verfügbarkeit ausrseichender Räumlichkeiten für hybride Arbeitstreffen.
Aus dem Stand und ohne leibhaftige Erfahrung lassen sich schlecht Regeln definieren. Eine Möglichkeit bestünde darin, unterschiedliche Arbeitssituationen auszuwählen und die betroffenen Teams in eine Art Experimentier-Status zu versetzen: Sie erhalten sozusagen die Vollmacht, auszuprobieren, was sich machen lässt und bekommen dafür die nötige Unterstützung. Nach einer nicht zu kurzen Zeit, sagen wir einem Vertel oder halben Jahr, fände dann ein Erfahrungsaustausch statt, im dem das Erlebte kritisch gewürdigt sowie Defizite und Wünschenswertes für die Zukunft benannt würden.
Auch für die Betriebsräte tut sich hier eine Chance auf. Sie könnten ein solches Verfahren initiieren und begleiten, insbesondere sich auch daran beteiligen, erste Regeln in Form von Guidelines für unterschiedliche typische Arbeitssituationen zu formulieren und ihre Rolle als Hüter der neuen Spielregeln bestimmen. Dazu gelte es dann, geeignete Vereinbarungen auszuhandeln. Einen ersten Vorschlag finden Sie hier.
Karl Schmitz, Oktober 2021 |