Beschäftigtendatenschutz nach Art der Bundesregierung - und alle fallen drauf rein!
Am 25. August hat das Bundeskabinett einen Entwurf zum Beschäftigtendatenschutz verabschiedet, der seinen Namen nicht wert ist. Nach den Datenskandalen bei Lidl, Bahn, Telekom und Co. hatte das Innenministerium mit großen Worten einen verbesserten Schutz für die Beschäftigten angekündigt. Herausgekommen ist ein zusammengeschustertes Maßnahmenpaket, das in weiten Teilen die betrieblichen Standards aufweicht, die bislang mit Betriebsvereinbarungen erreicht werden konnten und sogar der bisherigen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte in einigen Punkten widerspricht.
Ein erster Referentenentwurf des Innenministeriums mit erkennbar orwellschen Zügen hatte noch im Frühling für viel Aufruhr gesorgt. Nachdem im Sommer einige Korrekturen erfolgt sind, wird der Gesetzentwurf mittlerweile fast kritiklos kommentiert. Dabei fokussiert sich die Berichterstattung der Medien auf die geplanten Veränderungen bei der Videoüberwachung (als wenn die ein Grund zum Jubeln wären) und vernachlässigt die weitreichenden Überwachungsermächtigungen für Arbeitgeber unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung und die haarsträubenden neuen Möglichkeiten der Überwachung der Internet-, Telefon- und E-Mail-Nutzung der Mitarbeiter.
Unsere Kurzanalyse zum geplanten Beschäftigtendatenschutzgesetz:
1. Videoüberwachung
Das neue Gesetz unterscheidet zwischen offener und heimlicher Videoüberwachung. Die heimliche Videoüberwachung soll demnach verboten werden. Nichts Neues: De facto ist sie das lt. Rechtsprechung auch jetzt schon. Ausnahmen sind bislang nur im Einzelfall möglich, wenn der Arbeitgeber hierüber mit dem Betriebsrat eine Einigung erzielt.
Hier ist das Verbot jedoch im Zusammenspiel mit den geplanten neuen Regelungen zur offenen Videoüberwachung zu sehen. Diese wird nämlich erleichtet: Der Gesetzentwurf nennt einen umfangreichen Katalog von weit interpretierbaren Gründen, die eine Videoüberwachung erforderlich machen können: Zutrittskontrolle, Wahrnehmung des Hausrechts, Schutz des Eigentums, Sicherheit des Beschäftigten, Sicherung von Anlagen, Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Betriebes, Qualitätskontrolle. Irgendeinenen Grund wird der gewiefte Arbeitgeber also schon finden, wenn bei ihm die Kameras angeschaltet werden sollen. Die bisher mit unserer Unterstützung abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen sehen jedenfalls erheblich detailliertere Regelungen für Aufstellung, Betrieb und Auswertung von Kamerasystemen vor.
2. „Compliance“
Unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung soll nach dem Willen von Schwarz-Gelb in Zukunft sehr weit in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten eingegriffen werden. Rasterfahndungsmethoden werden ausdrücklich und pauschal als zulässig zur Aufdeckung von Straftaten und von „schwerwiegenden“ Pflichtverletzungen genannt. Was unter „schwerwiegend“ zu verstehen ist, bleibt dabei im Dunkeln und den Juristen überlassen.
Soweit Korruptionskontrollen ohne Kenntnis der Beschäftigten erfolgen sollen, muss ein konkreter Verdachtsfall vorliegen. Dann dürfen jedoch alle Beschäftigtendaten ausgewertet werden, die bei der Arbeit anfallen, Informationen von ohnehin verbotenen heimlichen Ton- oder Videoaufzeichnungen ausgenommen.
3. Überwachung der Mitarbeiter-Kommunikation
Bislang galt im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Grundsatz: Die persönliche dienstliche Kommunikation ist geschützt, kein Arbeitgeber darf Telefongespräche abhören, ebenso wenig ist das Öffnen eines Mailaccounts eines Beschäftigten ohne dessen Zustimmung oder ohne Regelung in einer Betriebsvereinbarung gestattet. Zulässig war die Analyse von Verbindungsdaten ausschließlich zu technischen Zwecken sowie zu Abrechnungszwecken.
Die Bundesregierung zieht leider weit am Notwendigen vorbei. Kontrollen sollen zukünftig auch zu „stichprobenartigen oder anlassbezogenen Leistungs- oder Verhaltenskontrollen“ zulässig sein. Ausdrücklich werden nicht nur Verbindungsdaten (z.B. Rufnummer oder Mailadresse des Kommunikationspartners, Gesprächsdauer, Gebühreneinheiten), sondern auch Kommunikationsinhalte als Gegenstand der Überwachungsmaßnahmen genannt. Im Klartext: Arbeitgeber sollen die Telefonate ihrer Beschäftigten heimlich belauschen dürfen. Und zwar immer dann, wenn die „telefonische Dienstleistung wesentlicher Inhalt der geschuldeten Arbeitsleistung“ darstellt und das Abhören ein paar Tage vorher angekündigt worden sei. Betroffen wäre in vielen Unternehmen die halbe Belegschaft: Mitarbeiter im Call-Center, im Vertrieb, im Helpdesk, am Empfang. Mit den Beschäftigen an den Telefonen trifft es obendrein ausgerechnet diejenigen Mitarbeiter, die in vielen Unternehmen ohnehin häufig die schlechtesten Arbeitsbedingungen antreffen. Was für ein Zynismus, das Abhören von Mitarbeitergesprächen als „verlässliche Grundlagen für die Zusammenarbeit“ zwischen Mitarbeiter und Arbeitgeber zu bezeichnen, wie wir auf der Webseite der Bundesregierung lesen müssen.
Wir wollen nicht unterschlagen, dass der Entwurf u.a. Einschränkungen für den Umgang mit Gesundheitsdaten sowie strengere Vorschriften zum Fragerecht der Arbeitgeber bei Bewerbern sowie für die Ermittlung von Bewerberinformationen aus dem Internet vorsieht. Das „Nachgooglen“ von Infos über Bewerber im Netz wird beispielsweise verboten. Nur wer bitteschön soll überprüfen, ob der Personalchef tatsächlich auf die Recherche von Internetforen, Facebook-Informationen oder anderen Webseiten bei der Bewerbersuche verzichtet? Natürlich niemand. Schwarz-Gelb sieht offenbar keinen Widerspruch darin, dass Arbeitgeber das Surfverhalten der Beschäftigten überprüfen dürfen, sie selbst aber keiner unabhängigen Kontrollinstanz beim Datensammeln unterliegen.
Welche Folgen hätte das Gesetz für Personal- und Betriebsräte?
Bestehende Vereinbarungen gelten weiterhin. Immerhin wird im Gesetzentwurf festgehalten, dass die Rechte der Betriebs- und Personalräte in vollem Umfang erhalten bleiben sollen. Das beträfe insbesondere die zwingende Mitbestimmung bei technischen Systemen, die zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle geeignet sind.
Allerdings dürfte es zukünftig für Betriebsräte spürbar schwerer werden, Betriebsvereinbarungen zu Kommunikationssystemen und Compliance-Software mit einem angemessenen Schutz für die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten abzuschließen. Denn natürlich definiert der Gesetzesentwurf de facto ein neues Niveau für technische Maßnahmen des Arbeitgebers. Dieses Schutzniveau würde niedriger sein als die betrieblichen Regelungen, die die Arbeitnehmervertreter in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erkämpft haben. Vor dem Hintergrund der im Gesetzentwurf angeführten Kontrollmöglichkeiten dürften Arbeitgeber deutlich weniger bereit sein, restriktive Verhandlungspositionen zur Überwachung zu überdenken. Konflikte zwischen den Betriebsparteien dürften zunehmen.
Aber vielleicht verfliegt die ganze Aufregung schon bald. Denn eigentlich ist zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung zur Ordnung ruft (mal wieder!) und die geplanten massiven Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt.
Dirk Hammann
tse GmbH