Auch 100 Tage nach den ersten Snowden-Enthüllungen kommen Tag für Tag neue Details über die Machenschaften der Geheimdienste ans Licht.
Langsam wird es schwer, den Überblick über die Schnüffelprogramme zu bewahren. Wir zitieren Joachim Güntner, der in der Neuen Züricher Zeitung zusammen fasst:
Lustig, wenn's nicht so traurig wär... "So sehen die deklassifizierten Dokumente aus, die Pofalla dem #nsa abgerungen hat." twittert Thomas Oppermann von der SPD: Geschwärzt. Die - übrigens mitnichten geheimen, sondern seit Wochen im Internet frei zugänglichen - Dokumente wurden von Kanzleramtsminister Pofalla dem Parlamentarischen Kontrollgremium als Beweis dafür vorgelegt, dass die NSA bereit sei, die erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Er sei "sehr zufrieden" mit der geleisteten Aufklärung. (siehe auch: heise.de) Zur Erinnerung: Bereits vor einem Monat erklärte Pofalla, die Vorwürfe gegen die Geheimdienste der USA und Großbritanniens seien "vom Tisch" und hat sich damit zum Gespött der Internetnutzer gemacht. |
"Dank Snowden wissen wir: Die [Geheim]-Dienste speichern E-Mails und IP-Adressen, sie zwingen Suchmaschinenbetreiber wie Google, IT-Firmen wie Apple und Microsoft oder soziale Netzwerke wie Facebook zur Preisgabe von Nutzerdaten. Sie zapfen Unterwasserkabel an und überwachen den Mobilfunk. Ungeheure Mengen an privater, zum Teil intimer Information, die zuvor verstreut war, werden dabei verknüpft. «Big Data» mästet einen «Big State». Die Sammelwut kennt keine Landesgrenzen, und da sie dem Bestreben unterliegt, schon im Voraus zu wissen, was passieren könnte, setzt sie nicht erst ein, wenn Täter gesucht werden müssen, sondern verfährt prophylaktisch: ohne Mass und ohne konkreten Verdacht."
Hinzuzufügen ist: Sie beschädigen bestehende Sicherheitsstrukturen der Internetnutzung, indem sie Verschlüsselungsdienste kompromittieren und systematisch Informationen über Sicherheitslücken von Anwendungsprogrammen aufkaufen, um Trojaner und Spionagetools auf den PCs der Internetnutzer auszuführen. Sie fangen die Zahlungsströme der Banken ab. Sie spionieren die UN-Vertretung, nationale Regierungen und die EU aus.
Nach der anfänglicher Kurzempörung von Justizministerin Leuthauser-Schnarrenberger (Link zu unserem ersten Artikel zu den Snowden-Enthüllungen) fällt der Bundesregierung nichts ein und speist uns Bürger mit Aussagen à la "Es findet keine flächendeckende Überwachung deutscher Bürger auf deutschem Boden statt." ab. Man muss nicht Bundesdatenschutzbeauftragter sein, um zu erkennen, dass mit der gewählten Formulierung offen bleibt, inwieweit deutsche Bürger im Inland unterhalb der Schwelle "flächendeckend" überwacht werden, und dass die massive Überwachung unserer Kommunikation über Internetknoten im Ausland völlig ausgeblendet wird.
Die Chupze von Innenminister Friedrich und Kanzleramtsminister Pofalla, die geleakten Überwachungsprogramme, die nicht einmal von der US-Regierung abgestritten werden, als haltlos, übertrieben oder nicht existent zu bezeichnen, ist ein Aufreger erster Güte. Wie soll man politisch über die richtigen Antworten diskutieren, wenn offen liegende Tatsachen einfach abgestritten werden? Auf die schon oben kurz dargestellten Nachfragen des Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar will das Innenministerium übrigens keine Anworten geben. Die Begründung verschlägt einem den Atem: Der Bundesdatenschutzbeauftragte sei nicht zuständig.
Der Aufklärungsoutput der Bundesregierung liegt jedenfalls zur Stunde bei Nullkommanull. Das Maßnahmenpaket der Regierung zur Sicherung der Bürgerrechte beschränkt sich auf ein lose avisiertes, Antispionage-Abkommen mit den USA. Man bemüht sich noch nicht einmal zu erklären, warum ein solches Abkommen nötig sein soll, wenn doch andererseits darauf verwiesen wird, dass unsere "Freunde" keine Spionage in Deutschland betreiben würden.
Dass es auch anders geht, zeigt EU-Kommissarin Reding. Sie schlägt unter anderem vor, US-Konzerne die gegen europäische Datenschutzbestimmungen verstoßen - dazu zählt sie insbesondere die Weitergabe an NSA&Co. - mit Geldbußen in Höhe von bis zu zwei Prozent des Weltumsatzes zu belegen. Außerdem kündigt sie eine kritische Untersuchung des Safe-Harbor-Abkommens an, die den Datenverkehr in die USA zum Gegenstand hat. (Hierzu haben wir schon vor längerer Zeit eine kritische Stellungnahme veröffentlicht.)
Damit hält Reding die richtigen Hebel in der Hand. Geld bewegt schließlich die Welt. Schon kurz nach Veröffentlichung der ersten Snowden-Papiere beklagten die ersten amerikanischen Cloud-Dienst-Betreiber Umsatzrückgänge. Fehlender Datenschutz und der nicht ausgeräumte Verdacht der Industriespionage durch die Geheimdienste wird zu einem echten Wettbewerbsnachteil für anbietende Unternehmen.
Bis es soweit ist, bleibt deutschen Unternehmen nur, deutsche Providerlösungen zu bevorzugen. Diese gewährleisten nicht nur den BDSG-konformen Betrieb, sondern auch die Überprüfung durch die betrieblichen Datenschutzbeauftragten.
Dirk Hammann
tse GmbH