Im Sommer 2016 ist unter Vermittlung der Einigungsstelle zum Thema Microsoft Office 365 eine Regelung entstanden, die das Unternehmen für den Fall, dass die Mitbestimmung des Betriebrats nicht wahrgenommen werden kann. Die Regelung erscheint sehr kompliziert, weil sie eine Menge Hürden einbaut, bevor der Fall eintreten kann, die Software wirklich abzuschalten.
Eine Einigungsstelle hat entschieden, dass der Arbeitgeber umstrittene Teile der Microsoft-Cloud-Lösung office 365 rückbauen muss, wenn sich heraussstellt, dass die Wahrnehmung der Mitbestimmung nicht möglich ist.
Diese Entscheidung hat schwerwiegende Folgen für das Geschäftsmodell Software as a Service. Um mit dem deutschen Rechtsraum konform zu bleiben, müssen die Anbieter solcher Softwarelösungen eine weitgehende Einstellbarkeit ihrer Produkte – im sog. customizing – gewährleisten, was im Sommer 2016 bei Office 365 nicht bzw. nur eingeschränkt der Fall war.
Microsoft Office 365 wird als "Software as a Service" (SaaS) im Wege des Cloud Computing angeboten und stellt ein neues Geschäftsmodell dar. Die Programme sind in einer vom Anbieter betriebenen Server-Farm installiert, die Übertragung erfolgt über das Internet-Protokoll, und die Endbenutzer benötigen nur noch einen Browser. Bezahlt wird nach Gebrauch, nach der Menge der übertragenen Daten bzw. der Zahl der Benutzer. Es fallen keine Lizenz- und Wartungsgebühren an. Die Administration wird vom Softwarelieferanten übernommen, Upgrades und Updates eingeschlossen – alles das macht der Diensteanbieter, inklusive der fortlaufenden Modernisierung der Software und ihrer Anreicherung mit neuen Funktionen.
Und genau dort liegt das Problem. Die anwendenden Unternehmen als Kunden des "Diensteanbieters" haben keinen oder nur noch geringen Einfluss auf die Gestaltung der Software, denn Vieles ist nicht mehr einstellbar, sondern muss so hingenommen werden, wie der Hersteller es anbietet. Die Kunden erhalten in regelmäßigen Intervallen einen Newsletter mit den Ankündigungen der jeweiligen Neuerungen. Und dieser Newsletter imfasst auch gerne einmal bis zu 200 Einzelpositionen.
Den Betriebsräten wird bei diesem Verfahren der Partner ihrer Mitbestimmung sozusagen entzogen, denn sie können nur noch eingeschränkt mit ihrem Arbeitgeber die Gestaltung des Systems vereinbaren.
Kern des hier beschriebenen Konfliktes war der neue Suchdienst Delve. Dieser basiert auf der Logik von Office Graph und wird von Microsoft als "selbstlernende Software" angepriesen. Sie beobachtet die Benutzer bei allen Stufen des digitalisierten Arbeitsablaufs, indem kontinuierlich Signale gesammelt und ausgewertet werden, so zum Beispiel:
Sozusagen das gesamte Beziehungsgeflecht des Arbeitsgeschehens ist Gegenstand der Beobachtung durch die Software. "Wenn Sie und ein Kollege beispielsweise das gleiche Dokument ändern oder anzeigen, ist dies ein Signal, dass Sie wahrscheinlich zusammenarbeiten" ist in einem Microsoft-Dokument zu lesen . Daraus zieht das System dann seine Schlüsse, um den Benutzern "intelligente" Suchergebnisse anzubieten. Es handelt sich also nicht mehr um simplen Textvergleich, sondern um einen Suchdienst, der die Ergebnisse der vom Suchalgorithmus für wichtig erachteten Dokumente und Objekte zuerst präsentiert oder umgekehrt "verborgene Informationen" kenntlich macht, also von Menschen verfasste Texte anzeigt, mit denen man nie oder nur höchst selten zu tun hat. "Nutzer sollen so immer die Informationen und Dokumente erhalten, die gerade für sie wichtig sind", schreibt Microsoft .
Man kann – Stand Mitte 2016 – den Suchdienst zwar individuell abschalten, was aber nicht bedeutet, dass das System die Signale im Hintergrund nicht sammelt; die "intelligenten" Suchergebnisse werden lediglich dem betroffenen Benutzer nicht mehr zur Verfügung gestellt, und er muss sich zufrieden geben mit der traditionellen auf Wortvergleich beruhenden Textsuche.
Was sich in der Werbung als Kommunikationsbeschleuniger anpreisen lässt, etwa mit dem Slogan "Office Delve hilft Ihnen und Ihren Kollegen, über Verbindungen zu Inhalten und Themen besser miteinander zu kommunizieren" , hat natürlich seinen Preis. Hier ist die Utopie von der Gläsernen Arbeit Wirklichkeit geworden. Die Stellung einer jeden Person im Unternehmensnetzwerk – wer ist rühriger Aktivist, wer ist isolierter Eigenbrödler – bildet eine wichtige Datenquelle für die Ermittlung der Suchergebnisse.
Es ist nicht nur die eigene Lufthohheit, die die Algorithmen von Microsoft dem Benutzer nehmen, wenn sie ihm präsentieren, welche Funde für ihn die relevantesten sein sollen. Dazu kommt noch, was wir von der Smartphone-Abhängigkeit kennen: Meine wichtigsten Kollegen – das Suchergebnis als eine Art Glücksspiel um die Aufmerksamkeit, Wichtigkeit festgestellt nach Häufigkeit. Und schon bekommt der Motor der inneren Hektik einen neuen Kick: Bin ich auch wichtig für meine Kollegen? Was verpasse ich, wenn ich jetzt nicht weiter scrolle? Vielleicht nicht so entscheidend: Was ist mit der Zeit, die das erzwungene Aufmerksamkeitsspiel für die Bedienung des Systems auffrisst, Zeit, die ja eigentlich Zeit für die Arbeit ist oder zumindest sein sollte.
Von vielen – vermutlich nicht im Detail mit den Hintergründen vertrauten – Benutzern wird der Suchdienst als angenehmer Komfort begriffen, verglichen etwa mit der Google-Suche, die auch die Historie des Suchverhaltens im Hintergrund auswertet (und natürlich für Werbe-Platzierungen benutzt). Aber hier gibt es einen wichtigen Unterschied zu beachten. Die Google-Suche – jedenfalls soweit wir wissen – beschränkt sich auf das Verhalten des einzelnen Benutzers und kennt diesen nur über die Identität des Browsers. Er kann jederzeit die Spuren der Vergangenheit ignorieren und von vorne beginnen. Die Delve-Suche begnügt sich nicht mit der Vergangenheit einer einzelnen Person, sondern wertet darüber hinaus dessen Beziehungen zu anderen Personen aus. Man kann es Menschen wohl kaum übel nehmen, wenn sie diesen Vorgang als "ausspionieren" bezeichnen.
Der Suchdienst stellt nicht nur einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Benutzers als Einzelperson dar, sondern berührt wegen des Bezugs auf das gesamte Geflecht der digital registrierten Arbeitsbeziehungen auch die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen, und zwar ohne deren Zustimmung abzufragen. Umgekehrt kann man als einzelner Benutzer nie sicher wissen, welche anderen Personen Informationen erhalten, die unter Auswertung des eigenen Verhaltens zustande gekommen sind.
In den Nutzungsverträgen heißt es lediglich, dass Microsoft die Daten seiner Kunden "zur Verbesserung seiner Services" nutzen darf. Die heimlichen Formeln hinter der "intelligenten Suche" sind schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis ausgeklügelter Experimente. Microsoft erhält hier ein riesiges Experimentierfeld, um neue Services zu entwickeln, die zukünftigen Kunden dann wieder verkauft werden können.
An die Stelle einer von Menschen getragenen offenen Kommunikationskultur tritt immer mehr eine technisch vermittelte Kommunikation, bei der das Wissen im Kopf in von Algorithmen verwaltete Transaktionen verlagert wird.
Diese Technikfixierung stellt ihrerseits ein nur schwer einzuschätzendes Gefährdungspotenzial dar. Die an der Graphen-Theorie orientierten mathematischen Verfahrung beurteilen Relevanz letztendlich nach Häufigkeit. Bedeutung im Leben real existierender Menschan macht sich aber wesentlich an Erfahrungen fest, und diese kodiert das menschliche Gehirn überwiegend mit Gefühlen, die sich bekanntlich dem computertechnischen Durchdringen beachtlich widersetzen . So sind Fehlinterpretationen kaum vermeidbar, werden aber vor dem Hintergrund der Computergläubigkeit für bare Münze der Wahrheit gehalten.
Fakt ist: Microsoft sammelt die Informationen über das nahezu komplette Arbeitsgeschehen der Beschäftigten eines Unternehmens ein, das Office-365-Kunde ist. Die Algorithmen im Hintergrund werden nicht offen gelegt, sondern im Marketing-Sprech der behaupteten Vorteile präsentiert.
Der Dienst war zum Zeitpunkt der hier berichteten Entscheidung nur mit großem Aufwand zentral abschaltbar und soll danach eine immer präsente Basisleistung darstellen. Das Unternehmen als Kunde hat dann nicht mehr die Wahl der Zustimmung; Gleiches gilt natürlich verstärkt für die Mitarbeitenden des Unternehmens.
Gegen diesen Umstand hat sich der Konzernbetriebsrat des hier betrachteten Unternehmens gewehrt und nach gescheiterten Verhandlungen die Einigungsstelle angerufen.
In der Einigungsstelle wurde unter Leitung eines ehemaligen Vorsitzenden eines Senats des Bundesarbeitsgerichts eine Vereinbarung abgeschlossen, die für das Mitbestimmungsverfahren mehrere Stufen vorsieht. Das Verfahren soll dem Tatbestand Rechnung tragen, dass der Arbeitgeber die seitens des Herstellers Microsoft vorgenommenen Änderungen nur eingeschränkt steuern kann. Es umfasst die folgenden Stufen:
Man mag sich über die komplizierte Vielstufigkeit des Verfahrens wundern, doch sie lässt erkennen, dass es sich um eine Angelegenheit mit schwerwiegenden Folgen handelt, denn der eventuell erforderliche Rückbau des Systems dürfte eine sieben- oder achtstellige Summe kosten.
Wenn das dem Office-365-Produkt zugrunde liegende Software-as-a-Service-Modell nicht zu einem vor dem Hintergrund der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz schwierigen Geschäftsmodell werden soll, müssen die Hersteller ihren Kunden eine weitreichende Konfigurierbarkeit der Software anbieten, die es erlaubt, nicht gewollte Leistungsmerkmale kontrollierbar abzuschalten.
Mehr zur Technik siehe auch Office365
Karl Schmitz, Dezember 2016