ChatGPT und der Hype um die KI

Jeden Tag werden Gigabyte, wenn nicht Terabyte von Informationen, Kommentaren, Spekulationen, Begeisterungsexzessen und Alarmrufen in die digitalen Medien geschleudert, und die Printmedien plappern fleißig hinterher. Eigentlich wollte ich abwarten, bis sich die Aufregung etwas gelegt hat. Deshalb vorerst nur ein paar Zeilen zur Besinnung und Beruhigung.

Viel Wind um ChatGPT. Ein realistischer Blick auf die Szene zeigt allerdings: Nichts wirklich Neues. Google hat das alles schon vor Jahren entdeckt, die Transformer-Idee, das Large Language Model, Neuronale Netze und Natural Language Processing gibt es schon lange. Google hat das nicht in die Öffentlichkeit gebracht, hauptsächlich weil es mit den Neuronalen Netzen schwierig bis unmöglich wird, nachzuvollziehen, wie die Systeme zu ihren Ergebnissen kommen. Und natürlich auch, weil es seinen Geschäftsinteressen geschadet hätte, dazu später mehr. Microsoft ist jetzt vorgeprescht, die Firma, die hinter OpenAI steht und das wirkliche Sagen hat.

Business first

Knallharte Geschäftsinteressen diktieren das Geschehen. Google lebt zu weit über Neunzig Prozent von Werbung, die dank Künstlicher Intelligenz kontextgenau und immer besser personalisiert neben den Suchergebnissen platziert wird. Microsoft mit seiner Bing-Suchmaschine ist da gewaltig im Hintertreffen. Unter fünf Prozent wird der werbungsbedingte Umsatzanteil derzeit geschätzt.

Wenn man ChatGPT nach etwas fragt, bekommt man eine gebündelte Antwort, zusammegefasste Ergebnissen von vielen Quellen und - keine Werbung, jedenfalls bis jetzt, Sommer 2023. Sucht man bei Google nach einer gezielten Information, hat man viele schön aufgelistete Fundstellen - und für Google viele Gelegenheiten, Werbung zu platzieren. Die Handhabung mühsamer für die Benutzerin oder den Benutzer. Sie müssen sich die gewünschte Information dann manchmal zeitaufwendig selber zusammenstellen.

ChatGPT macht das einfacher und freundlicher. Google tut das weh. Und Microsofts Marktmacht mit seiner überall verbreiteten Software, in der das Wunder-Tool jetzt integriert werden soll, besorgt den Rest. Google wurde kalt erwischt. Microsoft hat den Markt besetzt. Seine Dominanz ist jetzt nicht mehr zu übersehen, ein gelungener Geniestreich.

Zu hastisch hat Google sein Konkurrenzprodukt mit dem sperrigen Namen Bard aus der Taufe gehoben. Leicht missglückter Start, aber immerhin, jetzt im Juni 2023 in 40 Sprachen und für über 100 Länder. Deutschland ist nicht dabei. Da sieht man den Bedeutungsverlust unseres Landes für die US-amerikanischen HighTech-Unternehmen.

Überschätzte Innovation

Technisch gibt es alles zum Teil schon seit mehr als einem Jahrzehnt: die Neuronalen Netze, das Sprachmodell, die Mustererkennung, der Nanosekundentakt der Computer, die gesunkenen Speicherkosten und - nicht zu vergessen - Big Data. Die Software produziert nichts wirklich Neues. Aber sie ist unschlagbar, in einem gigantischen Meer von Daten mit großer Schnelligkeit Muster zu erkennen, die noch kein Mensch gesehen hat. Das alles muss mit ausgewählten Datensätzen immer wieder trainiert werden (was bei dem Schlagwort Selbstlernendes System gerne übersehen wird).

Künstliche Intelligenz heutiger Machart ist eine Maschine, die nicht versteht, was sie tut. Das Konzept besteht darin, für alle Fragen und Probleme unter Beachtung von flankierenden Algorithmen das jeweils wahrscheinlichste Ergebnis zu finden. Bisher war das nicht besonders erfreulich, aber seit den großen Tech-Firmen unvorstellbare Datenmassen zur Verfügung stehen, klappt das hervorragend. Das Zauberwerk ist eine Kombination aus Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Maschine hat nicht den geringsten Schimmer Verständnis von dem, was sie tut. Man muss ihr alles sagen, was man von ihr will, sie hat keine eigene Aufmerksamkeit, keine Gefühle und keinen Willen. Ihr fehlt jede Spur von Bewusstsein. Wir werden das noch ausführlich erklären.

Gewaltige Machtkonzentration

Big Data ist die wichtige Voraussetzung für den Erfolg. ChatGPT, die zurzeit kostenlose Version, kann ausgewählte Teile der im Internet verfügbaren Daten bis November 2021 durchforsten, wer 20 Dollar im Monat bezahlt, bekommt das alles auch aktuell und mit bereits verbesserter Technik.

Google, Microsoft, Meta sind die Konzerne, die über den Zugriff auf die größten Datenbestände verfügen. Die Suchmaschinen-Robots sammeln alles was im Internet irgendwo von irgendwem irgendwann veröffentlicht wurde und wird. Damit nicht genug, Microsoft allein hat über sein M365-System schon seit beachtlicher Zeit nahezu alle Handgriffe auf einer Computertastatur in seinem Hintergrundsystem Microsoft Graph gespeichert, hat somit ein profundes Wissen über die Arbeitsbeziehungen der Menschen, die mit Computern arbeiten.

Diese Informationen stehen originär nur wenigen Firmen zur Verfügung, die nun entscheiden können, wer in welcher Form und in welchem Ausmaß an diesem Datenschatz beteiligt wird. Und China zieht nach.

Folgen für die Arbeitswelt

Die meisten Unternehmen sind noch nicht aufgestellt, sie haben wenig klare Vorstellungen. Viele Firmenchefs träumen natürlich von dem gewaltigen Rationalisierungspotenzial. Das wird von den großen Unternehmensberatungen massiv beflügelt. McKinsey hat gerade, Juni 2023, eine Studie herausgehauen, in der geschätzt wird, dass für eine Reihe wichtiger und verbreiteter Bürotätigkeiten über 60 Prozent der Arbeit automatisiert werden können. Einige Softwareanbieter, vorneweg die immer nassforsche Salesforce, sagen sograr, sie können den Chefs das Denken abnehmen: Ein paar Fragen beantworten und das System spuckt gleich komplette Geschäftsstrategien aus. Klar, aus der Flut von bereits Gesagtem findet man immer irgendwas, das sich durch Wiederholung und Neukombination zu einem bewundernswerten Ergebnis zusammenstellen lässt.

Es wird neuer Fähigkeiten bedürfen, klug mit den Systemen umzugehen. Man muss um die Funktionsweise der Systeme wissen, insbesondere um die Grenzen verlässlicher möglicher Aussagen. Mühsame Recherche kann ungemein erleichtert werden. Mit gehöriger Phantasie (die von den Anwendern kommen muss) werden sich noch kaum vorstellbare qualitative Verbesserungen vor allem vieler Dienstleistungen bewerkstellen lassen. Das ist ein weites Feld, für das es gilt, sich jetzt aufzustellen.

Perspektiven

Viele Internet-Gurus einschließlich dem unvermeidlichen Elon Musk haben vor den Gefahren unkontrollierter Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz gewarnt. Zur Zeit entbehren die Vorstellungen, eine künstliche Superintelligenz könne sich dazu entschließen, die Menscheit zu vernichten, noch jeder Grundlage. Computer sind Maschinen, sie haben kein Bewusstsein und sie verfügen weder über Gefühle noch einen eigenen Willen. Es sind immer noch die Menschen, die bestimmen, was mit den Computern geschieht.

Doch man muss ein kritisches Auge auf der Entwicklung haben. An vielen Stellen wird daran gearbeitet, eine sogenannte neuromorphe künstliche Intelligenz zu bauen. Sie soll über eine Art Maschinenbewusstsein verfügen, das zwar immer noch keinen eigenen Willen hat, aber zu eigenständiger Wahrnehmung fähig sein soll. Spannend wird es dann, wenn es gelingen sollte, Computer zu bauen, die mit lebende Zellen arbeiten. Wir werden darüber berichten.

Karl Schmitz, Juni 2023