Cyberkrank

Klicken bis der Arzt kommt ...Eine Polemik

Fernsehen macht dick, dumm und aggressiv.

Manfred Spitzer: Cyberkrank! Wie das digitale Leben unsere Gesundheit ruiniert, München 2017, S. 10.

Mit dieser Aussage konfrontiert der bekannte Ulmer Neurologe Manfred Spitzer seine Leserschaft in den gleichnamigen Buch, seinem zweiten Bestseller nach der Digitalen Demenz. Dieses Buch handelt davon, wie Menschen und Gesellschaft durch den Umgang mit den digitalen Medien und dem Internet verändert wurden und werden. Das Fazit ist alles andere als schmeichelhaft.

Unaufmerksamkeit statt des vielgepriesenen Multitasking als Folgen des Daddelns statt Denkens, die Einsamkeit und das Gefühl, nicht mehr Herr über das eigene Geschick zu sein, das alles werde durch die digitale Informationstechnik gefördert. Die Angst, etwas zu verpassen werde zum Teil unserer Lebenswelt.

Zum sozialen Lernen taugen digitale Medien nicht. Junge Menschen können Sozialverhalten nicht am Bildschirm lernen. Informationsüberflutung führe zu einer Wechselwirkung von Unwissen mit einer Vielzahl ungefilterter Informationsschnipsel. Wir erfassen Dinge sinnlich und haptisch. Digitale Jugend: unaufmerksam, ungebildet und unbewegt. Soweit Dr. Spitzers Warnungen vor den Risiken und Nebenwirkungen.

Die digitale Arbeitswelt ist vollgepackt mit elektronischen Workflows. Die Tendenz ist deutlich: Systeme sagen uns Tag und Nacht, was wir tun sollen und sorgen dafür, dass wir besser ausspioniert sind als Geheimdienste das je getan haben. Denn jeder Klick hinterlässt eine elektronische Spur, einen Zeit- und einen Namensstempel. Sie werden von hinter den Anwendungsprogrammen lauernden Big Data-Systemen aufgesaugt, damit daraus die best practice-Vorschläge gemacht werden können, wie wir demnächst erwartungskonformer arbeiten sollen. Die Miniaturisierung der Geräte bringt die Arbeit aufs Handy und begleitet uns auf Schritt und Tritt. Die Angst davor, etwas zu verpassen, verleitet zur dauerhaften Nutzung. Freizeit, Urlaub oder der Gang zur Kantinentheke, immer ist die Arbeit präsent.

Nicht dass ich jeden Schritt meiner Leute genehmigen muss, beklagt sich eine Führungskraft, ich muss die Genehmigung auch noch bestätigen. So bindet die künstlich erhöhte Klickrate die Aufmerksamkeit und stumpft die Sinne ab für alles was außerhalb der Computerwelt geschieht. Videoconferencing ersetzt reales Gespräch, Nuancen der Körpersprache runtergedimmt in die zweidimensionale Flachheit glatter Bildschirmoberflächen.

Schnelles Abarbeiten, hastiges Hineinstolpern in den nächsten Arbeitsschritt, und dann noch die Vorschläge aus der Kiste der predictive analytics, welche Kontakte ich bitte auch nochmal pflegen sollte, während clandestine Beurteilungssysteme im Hintergrund checken, wie vernetzt, agil und kontakteifrig ich bin.

Das mag alles etwas übertrieben sein, es geht aber um die Richtung, den Trend, dem die schöne neue Arbeitswelt folgt.

Sperrfeuer

Abhilfe gegen die Spirale des gesteigerten Stresses schafft die Wiederentdeckung der Sparsamkeit. Workflows sind dort sinnvoll, wo sie Routineabläufe nachweisbar vereinfachen. Ansonsten sollte Raum für Nachdenken bleiben, Autonomie für die Arbeit vor Ort. Globalität braucht Lokalität als Gegenpol. Verantwortlichkeit und erlaubte Eigeninitiative statt elektronischer Gängelbänder. Den Molochsystemen im Hintergrund das Datenfutter für ihre Kontrollwut entziehen. Vertrauen als Arbeitskultur.

 

 

Karl Schmitz, Oktober 2017