Wir alle haben unsere Erfahrungen mit Call Centern. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Nicht gerade die Hochburgen von Kundenfreundlichkeit. Doch das ist hier nicht unser Thema. Es geht vielmehr darum, wie diese Arbeit organisiert ist, und nicht nur die Telefon-Galeeren der klassischen Call Center sind gemeint, sondern auch die sich anspruchsvoller verstehenden Service Center, User Help Desks oder Kundenberatungsagenturen.
Das 08/15-Call Center stellt man sich so vor: Großraumbüro, 50 bis 200 Leute sitzen an einem Büroschreibtisch vor ein oder zwei Großbildschirmen mit Headset über den Kopf gestülpt, ständig mit ihrem Computer redend, wo am anderen Ende ein Kunde versucht, Wege aus seiner Verzweiflung zu finden.
Es sind meist dieselben Fragen, die beantwortet werden müssen, nach Schwierigkeitsgraden von einer Dispatching-Software in Levels eingeteilt, einfach nach Basis und Back Office unterschieden, wohin die wirklich schwierigen Fragen weitergeschoben werde. Die können dann zeitversetzt nach Warteschlage oder auch nur schriftlich beantwortet werden.
Was jetzt weiter geschieht, hängt davon ab, wie volatil die zu beratenden Themen oder zu beantwortenden Fragen sind: Ist es über lange Zeiten immer dasselbe oder ändern sich die Dinge in schnellem Zeittakt. Das erfordert dann Teambesprechungen, Schulungen oder besondere Coachings. Schwierige Fälle könnten markiert und dann in besonderen Meetings besprochen werden, natürlich face to face, unter Einbeziehung der Erfahrungen anderer Personen.
Alles in allem kann man sich hier gut vorstellen, dass das Nebeneinander im Großraumbüro komplett ersetzt werden kann durch Arbeiten im Home Office, zeitgemäße Technik und funktionierende Internetverbindung natürlich vorausgesetzt. Man darf halt nicht in einer Gegend wohnen, von der die Telekom sagt, dass sie nicht jedes Maisfeld anschließt ...
Teamkonferenzen, Schulungen, Coachings sind natürlich nichts fürs lupenreine Home Office. Entweder kommt man einmal in der Woche für eine kurze Zeit zusammen, physisch alle anwesend an einem Ort, oder man ermöglicht es einzelnen Personen, sich von zu Hause aus zuzuschalten. Diese Kolleginnen und Kollegen sind dann auf einem hypergroßen Bildschrirm für alle Anwesenden im Konferenzraum sichtbar und dürfen sich auch ins Gespräch einschalten. Auf der anderen Seite haben die Home Worker natürlich auch Ton- und Blickkontakt zum Konferenzraum. Dank Application Sharing können Dokumente, Präsentationen oder VideoClips für alle sichtbar in das Konferenzgeschehen eingeblendet werden.
Wie oft und in welcher Form solche virtuellen Meetings stattfinden, hängt natürlich von der Volatilität der Themen ab, aber lässt sich sehr vielfältig gestalten, wobei den Wünschen der Beteiligten ein hoher Stellenwert eingeräumt werden kann, zum Beispiel regelmäßig donnerstags von 9:00 bis 12:00 Uhr, nur jeden zweiten Montag, ausschließlich nur bei Bedarf oder zusätzlich bei besonderen Anlässen. Das kann man in einer kurzen Pilotphase ausprobieren und dann in Regeln festhalten, zum Beispiel einer Betriebsvereinbarung.
Schauen wir uns einmal den einzelnen Arbeitsplatz an. Da sitze ich nun, und das Softwaresystem teilt mir, entweder nach den Regeln der Warteschlangenverwaltung oder nach meinen Skills getriggert Calls zu. Diese kann ich mit Zugriff auf eine hoffentlich übersichtlich und benutzerfreundlich organisierte Dokumentation beantworten oder bei komplizierteren Fällen die Bearbeitung anstoßen. Alles das funktioniert auch mit Mails, die dann zu Cases werden. Und die darf ich nach festem Zeitplan bearbeiten oder wenn gerade nichts los ist am Telefon. Wenn ich das von zu Hause aus mache, kann ich natürlich nicht meine Nachbarkollegin im Büro kurz etwas fragen. Da haben die Anbieter der Collaboration Tools schon Abhilfe geschaffen, z.B. durch integrierte Chat- oder Video-Funktionen, nur sehen viele Betroffene darin lediglich eine Notlösung für das fehlende persönliche Gespräch.
Arbeit ist ohne Kommunikation nicht denkbar. Das gilt auch für mich, wenn ich im Home Office sitze und auf meine Hintergrundsysteme im Back Office zugreife. Denn was diese mir bieten, ist nichts anderes als konservierte Kommunikation. Die hier verfügbaren Dokumente sind schließlich das Ergebnis von gesammeltem Expertenwissen und bisherigen Erfahrungen, alles Dinge, die nicht vom Himmel gefallen sind, sondern meist über längere Zeiträume erarbeitet und dokumentiert werden mussten.
Nun weiß man seit Paul Watzlawick, dass jede Kommunikation zwei Aspekte hat, die Inhalts- und die Beziehungsebene. Die Inhalte einer Kommunikation sind die leichte Beute der Digitalisierung; bei der - nicht formalisierten - Beziehungsebene wird es dann schwierig. Jede erfahrene Beraterin weiß, dass die lieben Kunden oft aufgebracht, frustriert sind und sich nicht unbedingt sachlich lösungsorientiert verhalten. Wenn ich ein Naturtalent bin, hab ich das als Berater alles drauf. Aber vermutlich bedarf es doch gewisser Lernprozesse, die ich absolviert haben muss.
Und hier gerät die digitale Einzelarbeit schnell an ihre Grenzen. Kommunikation als Erfahrungsaustausch gestaltet sich sehr sparsam, wenn sie sich auf dokumentierte Sachinhalte beschränken muss. Je veränderlicher oder entwicklungsfreudiger die zu bearbeitenden Themen sind, desto stärker wird der Anteil nicht formalisierter Kommunikation; betroffen ist auf jeden Fall alles, was neu ist.
Und hier ist Kreativität gefordert, soll die Arbeit nicht in abgestumpfter Routine veröden, die dann auch immer weiter davon entfernt ist, noch Kunden begeistern zu können, was sich letztendlich in wirtschaftlich messbaren ebenfalls nicht begeisternden Zahlen ablesen lässt.
Große Arbeitsanteile als Home Office bringen viele Unternehmen auf die Idee, dass man im Betrieb vorzuhaltende Arbeitsplätze einsparen kann; die Vorstellungen schwanken zwischen 40 und 80 Prozent. Da bietet die Sóftwareindustrie dann ihre Hilfe mit Booking-Systemen an: ich buche meinen Arbeitsplatz dann jedes Mal, wenn ich in die Firma will, ähnlich wie früher Hotels bei booking.com oder HRS.de.
Wenn man das zu weit treibt, reduziert man die internen Kommunikationsmöglichkeiten, und das betrifft vor allem die Beziehungsebene. Da ist dann kein Raum mehr für informellen Informationsaustausch, für Gespräche in vertrautem Rahmen, die spontan neue Ideen entstehen lassen, die eine angenehme Arbeitsatmosphäre begründen, Raum bieten für das Gefühl, mit dem Unternehmen, für das man arbeitet, verbunden zu sein. Das alles will berücksichtigt sein, wenn man darüber nachdenkt, Arbeitsplätze einzusparen. Und es geht auch um die Sehnsucht der Menschen nach einer Art Heimathafen bei der Arbeit, nach einem festen Platz, von dem man den Eindruck haben darf, da auch hinzugehören.
Karl Schmitz, Januar 2022 |