Social Media und Arbeitnehmerinteressenvertretung

Grundsätzliches

Social Media ist ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Elemente: News, Online-Foren und Blogs, Instant Messaging, Bookmarking, RSS-Feeds und schließlich die sog. Sozialen Netzwerke. Bemerkenswert ist die hohe Steigerungsrate der Nutzung, v.a. bei den Sozialen Netzwerken.

Firmen haben erkannt, dass traditionelle Formen des Marketings immer bedeutungsloser werden. "Marketing unter Freunden" - so lässt sich die neue Strategie auf den Begriff bringen. Die Zielgruppenansprache per Fernsehen, Post, Telefon oder E-Mail scheint so langsam passé.

Doch für das neue Marketing gelten neue Regeln: Wer plump sein Produkt oder seine Dienstleistungen anpreist, kommt auf keinen grünen Zweig. Wenn Freunde untereinander ein Produkt empfehlen, erscheint das glaubwürdiger - und tausendfach wirkungsvoller als Werbung mit den alt-hergebrachten broadcasting-Methoden, bei denen die Kundschaft einseitig mit Botschaften bombardiert wird, sei es durch Handzettel, Postwurfsendungen, Fernsehspots oder Mailing-Aktionen, die viele nur noch als lästige Spam empfinden. Die neue Strategie setzt auf Weiterempfehlung durch andere: Einer befreundeten Person glaubt man mehr als der Marketingabteilung einer Firma.

So stellen die neuen Firmenstrategien dann auch mehr oder weniger ein sich Einschleichen in die Freundeskreise dar: Zuerst zuhören, lernen wie die Sprache der community ist, dann mitdiskutieren und schließlich zaghaft, zurückhaltend und nur dort, wo es passt die Produkte der Firma erwähnen, z.B. in Erfahrungsberichten, in Verbrauchertipps, niemals aber mit offensichtlicher Werbung und immer mit viel human touch.

Wenn Firmen sich auf Social Media als Element ihrer Marketing-Strategie einlassen, müssen sie gründlich umdenken:

Die kommerzielle Absicht des Firmenengagements darf auf keinen Fall unmittelbar erkennbar sein. Die firmeneigenen Agenten sollten als Teilnehmer der jeweiligen Netze, nicht als Verkäufer auftreten, so die offiziellen Ratgeber.

Die Kunst bestehe weiter darin, die richtigen Inhalte an die richtigen Kanäle der Social Media zu lenken, einen freundlicher Kontakt zu Bloggern zu pflegen, sich aktiv um Leute zu kümmern, die über das Unternehmen reden - positiv wie negativ, auf alle Statements ehrlich und offen einzugehen.

Ein Nebenziel des Social Media-Engagements ist natürlich auch, bessere Suchmaschinen-Rankings zu erzielen (dies ermöglichen die meist angewendeten Trackback-Techniken, die viele querverweisende Links erzeugen, welche von den Suchmaschinen besonders honoriert werden).

Ein kurzer Überblick über die für Firmen interessanten wichtigsten Elemente aus dem bunten Reigen der Social Media:

Blogs

Blogs gibt es schon seit Beginn dieses Jahrhunderts. Sie sind sozusagen die Nachfahren der Online-Foren und bringen Nachrichten oft wesentlich schneller als die mit ihrem organisatorischen Overhead behafteten traditionellen Medien. Sie bieten ihren "Lesern" meist Kommentierungsmöglichkeiten und Abonnements für die neuesten Nachrichten und Statements. In Blogs, die Kommentare zulassen, fühlen sich die Teilnehmer angeblich willkommen und akzeptiert, besonders wenn das veranstaltende Unternehmen den Ruf genießt, gut zuhören zu können und sich auch dessen Führungskräfte in die laufenden Debatten einschalten.

Blogs wurde lange Zeit eine Bedeutung zugeschrieben, die den offiziellen Print-Medien den Rang abgelaufen hat. Möglicherweise hat diesbezüglich aber schon eine Verschiebung zu Gunsten der sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter stattgefunden.

Twitter

Twitter ist ein 2006 gegründeter kostenloser Mikroblogging-Dienst für kurze Mitteilungen und war ursprünglich für harmlose Botschaften über die eigene Befindlichkeit unter Freunden gedacht, bestätigte sich aber schnell als außerordentlich gemeinschaftsstiftend und ließ deutliche Gefühle von Nähe und Initimität unter den Teilnehmern aufkommen. Da nahezu jedes bessere internetfähige Handy als Sender und Empfänger der Tweeds genannten Nachrichten genutzt werden kann, erwies es sich schnell als universelles Verbreitungsmedium bei politischen Großaktivitäten, Wahlkämpfen oder nationalen Katastrophen.

Natürlich ließ die Entdeckung durch die Unternehmen, insbesondere die Marketingleute dann nicht mehr lange auf sich warten. Insbesondere wegen der außerordentlich leistungsfähigen people-Suchfunktionen ließen sich auch schnell Leute mit ähnlichen Hobbys und geschäftlichen Verbindungen finden.

Soziale Netzwerke

Facebook, MySpace, StudiVZ, SchülerVZ, Xing, LinkedIn und viele mehr, alle erst gegründet im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. Shooting Star ist da 2004 als Studentennetz ins Leben gerufene Facebook mit heute behaupteten 500 Mio Nutzern und einem auf 50 Mrd. USD geschätzten Börsenwert (Anfang 2011), Facebook - das digitale Du . Die Teilnehmer richten sich eine Profilseite mit unterschiedlich ausführlichen Informationen über sich selbst ein, insbesondere ihre Vorlieben und Interessen und können "Freunde" mit ähnlichen Ambitionen suchen und finden, mit ihnen Informationen, Stimmungsbilder, Erfahrungsberichte, Fotos, Videos, Links und vieles mehr austauschen. Für die Firmen, die den Zeitgeist erschnuppert haben, ein El Dorado für das "Marketing unter Freunden".

Portale und andere Instumente

Social Bookmarkig Sites und Portale für spezielle Nachrichten, Fotos und Videos sollen der Vollständigkeit halber hier auch erwähnt werden. Insbesondere Videoblogs sind zu erwähnen, unterscheiden sich in ihrer strategischen Bedeutung aber nicht von "normalen" Blogs. Erwähnt werden müssen noch die der Enzyklopädie Wikipedia nachempfundenen Wikis, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Spezialwissen dokumentieren und im Dialog weiterentwickeln können.

Kaum ein in social media-Feld engagiertes Unternehmen bedient sich nur eines Mediums oder nur eines der vielen Kanäle.

Firmenstrategien

Viele Unternehmen führen eigene Firmen- oder Markenseiten in den Sozialen Netzwerken (z.B. in Facebook) und unterstützen das Aktivwerden ihrer Beschäftigten als "normale" Benutzer: insbesondere Führungskräfte, aber auch gerne einfache Mitarbeiter als Privatpersonen.

Es gibt zahlreiche, teils sehr teure Tools und Services zur Kontrolle der Netzwerk-Aktivitäten. Sie liefern

Letzteres ist oft Teil eines neuen Strategie-Elements, des Reputation Managements, das hauptsächlich der Beobachtung des eigenen Firmen-Rufs im Internet dient, nach dem Motto, dass jeder, der sich öffentlich im Namen des Unternehmens äußert, beobachtet werden muss. Hier spätestens entsteht ein neuer Handlungsbedarf für die Arbeitnehmer-Interessenvertretung.

Firmeninterne social media-Strategie

Die Erarbeitung einer social media-Strategie ist eine notwendige Erfolgsvoraussetzung für jede Firma, die hier aktiv werden will. Schon die bloße Existenz einer solchen Strategie kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivieren, sich mit social media zu befassen. Verheerend ist es allerdings, wenn die Firma ihre größten Fans, die gerne - auch öffentlich - über ihre Arbeit reden, mit internen Razzien z.B. eines falsch verstandenen Reputation Managements zum Schweigen bringt.

Klare Richtlinien sind daher gefordert, aus denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entnehmen können, was sie tun dürfen und was sie lieber nicht tun sollten. Solche Richtlinien sollten umfassen:

Wichtig ist die "Tonart", in der diese Richtlinie daher kommt. Sie sollte nicht mit Verbotskeulen oder einschüchternden Statements arbeiten, sondern eine liberale Gesinnung ausstrahlen, die geeignet ist, die eigenen Leute auch zu motivieren. Dies schließt Klartext gegenüber den Dingen, die man nicht tun sollte, keineswegs aus.

Da eine Reihe von mitbestimmungspflichtigen Punkten berührt wird, sollte unbedingt eine Abstimmung mit dem zuständigen Betriebs- oder Personalrat erfolgt sein, vorab und nicht erst nach der Veröffentlichung.

Social media-Anwendungen innerhalb des Unternehmens

Viele Firmen beobachten mit Argwohn die eher fachlich orientierten Aktivitäten in berufsbezogenen Netzwerken wie Xing oder LinkedIn. Vermehrt kommen sie daher auf die Idee, die Benefits der social media durch den Aufbau eigener unternehmensinterner Netzwerke nutzen zu wollen. Dies wird ihnen erleichtert, seit die den mainstream markierende Firma Microsoft mit geeigneten Softwareprodukten aufwartet (Sharepoint).

Das Augenfälligste sind zunächst das Teilen von persönlichen Kalendern und Aufgabenlisten, zunächst nur im Team, dann aber darüber hinaus, oft weltweit. Zu dem Instrumentarium gehört auch ein Präsenzmanager, der allen berechtigten Personen den augenblicklichen Arbeitszustand anzeigt, die firmeninterne Antwort auf das Facebook-Feature "Was machst Du gerade". Wenn man nicht aufpasst, ist dann unternehmens- oder gar konzernweit sichtbar, ob man gerade online ist, ob man auch online arbeitet, ob man nicht gestört sein will usw.

Sharepoint z.B. wartet darüber hinaus mit einem persönlichen Profil für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf, im Layout den Sozialen Netzwerken nachempfunden. Dort kann man unter anderem eigene Interessen und Fähigkeiten dem Rest der firmeninternen Welt kundtun, was sich zu einem kompletten Skill- oder Qualifikationsmanagement ausbauen lässt.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden angehalten, spezielles Sachwissen in themenspezifischen betriebsinternen Wikis zu dokumentieren.

Das alles lehnt sich an die in den social media außerhalb der Unternehmen beobachtbaren Aktivitäten an, verkennt aber einen wesentlichen Erfolgsfaktor dieser Aktivitäten, nämlich deren Freiwilligkeit. Und diese Bedingung ist innerhalb des Unternehmens nicht mehr erfüllt, auch wenn der Einstieg oft unter den Kautelen des freiwilligen Mitmachens erfolgt. Schnell wird daraus angeordneter Zwang. Was nützt schließlich ein Teamkalender, wenn einzelne Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter die Beteiligung verweigern?

Erfolg oder Misserfolg hängen wesentlich von der jeweiligen Unternehmenskultur ab. Je stärker eine Firma an ihren Hierarchien orientiert ist, desto weniger kann sie die Benefits der social media nutzen. Wikis verkommen zu Informations-Müllhalden oder werden schlicht sabotiert, weil die Beschäftigten Angst davor haben, durch Absaugen ihres Wissens überflüssig zu werden. Persönliche Profile degenerieren zur Spielwiese für Selbstdarsteller, das Skill Management wird zur lästigen Pflichtübung und bleibt auf schnell veralterndem Niveau hängen. Instant Messaging und Online-Chats werden von eifrigen Vorgesetzten zur Anwesenheitskontrolle missbraucht und sind danach faktisch tot.

Wenn die Unternehmenskultur aber Kommunikation und Kooperation hoch schätzt, also diejenigen Personen angesehen sind, die ihr Wissen bereitwillig weitergeben, dann tun sich einer Firma ungeahnte Pfründen auf. Der Einsatz der social media kann horizontale Kommunikation ungemein fördern und somit zum Treiber für Innovation und Produktivität werden.

Handlungsbedarf für die Arbeitnehmer-Interessenvertretung

Zunächst gilt es, die offensichtlichen Gefahren beim innerbetrieblichen Einsatz der social media-Techniken auszuschalten oder zumindest doch stark zu mildern. Unschönes Leistungsmerkmal v.a. der Microsoft-Technologien ist es, dass per Voreinstellung alles, was die Leute tun, protokolliert wird. Diese Protokolle gilt es abzuschalten. Wo dies nicht durchsetzbar ist, muss eine strikte Zweckbindung (Aufrechterhaltung des technischen Betriebs, Fehleranalyse und -korrektur, Gewährleistung der Sicherheit) verabredet, die Speicherdauer kurz gehalten und der Kreis der zugriffsberechtigten Personen eingeengt werden.

Bewährt haben sich Pilotvereinbarungen als Vorgehensweise, bei der einzelne der Techniken mit freiwilliger Nutzung eingeführt werden, nach einer gewissen Zeit, etwa einem Jahr, ein gemeinsamer Erfahrungsaustausch zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer-Interessenvertretung stattfindet und dann erst eine endgültige Regelung über die Anwendung getroffen wird.

Ein weiteres Thema stellt die Rekrutierung und Qualifizierung geeigneten Personals dar, wenn sich das Unternehmen selbst in den social media für die "Außenwelt" engagiert. In vielen Firmen wird leider nach dem Prinzip verfahren, den bereits vorhandenen Beschäftigten die neuen Tätigkeiten on top zu verordnen. Dies führt - abgesehen vom vorhersagbaren Misserfolg - zu unzumutbaren Arbeitsbelastungen. Geeignete Qualifizierungsmaßnahmen sind unerlässlich, wenn nicht jedwede Innovation durch Zukauf von externen Leistungen bewerkstelligt werden muss, was gleichzeitig ja mit einem Verzicht auf den Aufbau neuer eigener Kernkompetenzen hinausläuft.

Schwieriger gestaltet sich die Einflussnahme auf die Pflege einer passenden Unternehmenskultur. Dies betrifft die Leitlinien eines Unternehmens, seine Führungsgrundsätze, seine Methoden der Personalentwicklung und stellt ein weites Feld für jahrelange Arbeit dar.

Regelungsbedürftig sind auch Spielregeln für das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den sozialen Netzwerken außerhalb der Firma. Hier sind insbesondere zu erwähnen die Mitarbeit an geeigneten Richtlinien und auf jeden Fall die Festlegung eines Verfahrens, wie man mit Konfliktfällen umgehen will.

Beispiel eines Konfliktregelungsverfahrens

Unternehmen und Betriebsrat richten eine von jeder Seite mit je zwei Mitgliedern besetzte Clearing-Stelle ein, die alle Konflikte und Streitigkeiten bezüglich öffentlicher Beiträge von Beschäftigten in Sozialen Netzwerken betrifft. Die Fälle werden schriftlich dokumentiert. Auf Antrag eines Mitglieds der Clearingstelle findet ein Gespräch mit der betroffenen Person statt, das der Lösung des Konfliktes bzw. der Erarbeitung von Vorschlägen dient, wie in Zukunft solche Fälle vermeidbar sind.

Die Falldokumentationen und Vorschläge werden für die Dauer von 18 Monaten gesammelt und dann vom Unternehmen und dem Betriebsrat gemeinsam bewertet. Im Anschluss werden Verhandlungen über eine abschließende, dauerhafte Regelung aufgenommen.

Für die Dauer der Tätigkeit der Clearingstelle verzichtet das Unternehmen auf arbeitsrechtliche Konsequenzen aus den behandelten Konfliktfällen; ausgenommen hiervon sind lediglich Fälle, in denen die Clearingstelle Einvernehmen darüber erzielt, dass es sich um strafrechtliche Tatbestände handelt.

[In allen Fällen, in denen diese Regelung das Einvernehmen beider Seiten vorsieht, entscheidet bei Nichteinigung eine gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG zu bildende Einigungsstelle.]

Dieser Regelungsvorschlag stammt aus dem Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes, lässt sich aber auf Fälle des Personalvertretungsrechts übertragen.

Karl Schmitz, August 2017