Bedeutungsverlust des Bereichs Personal

Der Wandel der Personalfunktion und die elektronischen Systeme

Es gab einmal Zeiten, da gehörte der Personalchef wie selbstverständlich dem Vorstand oder der Geschäftsführung eines Unternehmens an. Das ist zehn bis zwanzig Jahre her, hat sich grundlegend verändert und betrifft die ganze Personalfunktion im Unternehmen, nicht nur die Chefposition.

Für die gewöhnlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die Personalabteilung abgeschafft bzw. in ein Service Center ausgelagert, vorzugsweise in einem Billiglohnland, oft mit schlechten Kenntnissen der deutschen Tarifstruktur und der deutschen Sprache. Man hat nur noch eine Mailadresse oder eine Telefonnummer, mit dem Service, den wir bei den Call Centern so lieben. Das lässt sich alles noch steigern. Möglicherweise heißt es demnächst „Sie werden mit dem nächsten freien Chatbot verbunden“.

Für die Führungskräfte gibt es dann noch leibhaftig ein paar Personaler - sie nennen sich jetzt Business Partner.

Die Anbieter der elektronischen Systeme (SAP/SuccessFactors, workday oder Oracle/Peoplesoft) haben längst auf diese Situation reagiert. Um nicht auch für die Bedeutung ihrer Software Einbußen zu erleiden, haben sie zwei Dinge getan:

  • Stoff für die Personaler: Sie bekommen wieder reichlich zu tun.

    Alle Aktivitäten sind in Prozessen mit umfangreichen, kleinteiligen Workflows abgebildet. So besteht dann z.B. die Einstellung eines Bewerbers aus 17 solcher Stufen. Die Arbeit wird aufgebläht und über Rollen an unterschiedliche Personen verteilt, bei denen der eine nicht mehr zu wissen braucht, was der andere tut - dafür sorgt das engmaschige Berechtigungssystem. Seis's drum, man hat wieder reichlich zu tun. Produktivität allerdings ist etwas anderes.

  • Abhängigkeit der Benutzer: Klicken ohne Ende.

    Alles ist Workflow, selbst die simple Änderung der Hausnummer in einer Adresse. Fast alles schreit nach Genehmigung und Bestätigung, elektronisch natürlich, mit vom System erzeugten Mails und Notifications verschiedenster Art. Cloud Computing hat für Beweglichkeit gesorgt. Dank der netten Apps verfolgen einen die Workflows auf dem Smartphone, bei der Arbeit, in der Warteschlange bei der Essensausgabe, zu Hause, im Urlaub. Ständig darf man auf irgendetwas klicken. So gelingt es den Herstellern, die Aufmerksamkeit der Benutzer an ihre Software zu binden. Das hat man von den Social Media à la facebook gelernt.

Auf der einen Seite aufgeblähte Arbeit für Personaler, die zwar nichts mehr zu sagen, dafür aber viel zu tun haben, auf der anderen Seite abhängige Benutzer, so die win-win-Situation für Software-Anbieter und Personaler. Aber was steckt dahinter?

Die Konsequenzen

Man kann die Ansicht vertreten, eine Software ist dann gut, wenn man bei der Arbeit nicht merkt, dass man einen Computer benutzt. Das geht aber nur, wenn die Software sich zurückhält und sich nicht vordrängelt. Prozesse und Workflows sind Elemente der Arbeits- und Ablauforganisation. Werden sie in Software eingebunden, entsteht Abhängigkeit von der Software. Und genau das wollen die Systemanbieter.

Was hier geschieht, kann man mit Fug und Recht eine Re-Taylorisierung der Arbeit nennen. Nach F.W. Taylor wird die Arbeit bekanntlich in Planung und Ausführung getrennt, letzters in kontrollierbaren kleinen Einzelschritten. Die Planung hat der Systemhersteller übernommen. Er bietet seine Workflows als best practice an. Das cloud computing hat das Geschäftsmodell Software as a Service (SaaS) hervorgebracht; man abonniert also einen nach Nutzungsumfang zu bezahlenden Dienst, statt wie früher eine Lizenz zu erwerben und einen Wartungsvertrag abzuschließen. Hält man sich an den Standard des Public Cloud-Anbebots, so wird es presigünstig, Anpassungen an besondere Wünsche kosten zusätzliches Geld.

So führt das SaaS-Modell zu weiterer Standardisierung. Sind alle Prozesse gleich, so können sie leichter an beliebige Orte verschoben werden. Haben wir einmal gelernt, dass Unternehmen sich im Wettbewerb auf dem Markt unterscheiden, so werden wir jetzt eines Besseren belehrt. In der Physik nennt man den Zustand, in dem alles gleich ist, den Wärmetod: Nichts geht mehr. Hier hat offensichtlich die Einsicht obsiegt, dass es den Unternehmen für den Bereich Personal nicht wichtig ist, sich voneinander zu unterscheiden.

Das tayloristische Prinzip durchgetakteter, workflow-getriebener Arbeit gilt in der Produktion als längst überholt, aber so lange die Hersteller genügend Dumme findem, die darauf reinfallen, lässt sich Geld damit verdienen.

Die systematische Workflow-Organisation ist natürlich auch eine weitreichende Technisierung der Kommunikation. Viele kommunikative Abläufe werden durch elektronisch gesteuerte Transaktionen ersetzt. Selbst dort, wo Menschen noch miteinander reden sollen, werden sie an die Kandarre der Workflows genommen: Zum Gespräch wird elektronisch eingeladen, sein Stattfinden wird elektronisch bestätigt, meist mehrstufig, jeder Schritt wird in speziellen Dashboards oder Reports elektronisch überwacht. Die Dialektik von Vertrauen und Kontrolle erhält deutliche Schlagseite.

Ärgerlich obendrauf ist auch noch das schlechte Design vieler Prozesse, das oft meilenweit an der Realität vorbeirauscht. Aber das ist ein neues Thema: Qualitätsverlust.

Karl Schmitz, Dezember 2017