Hybrides Arbeiten: Softwareentwicklung

  Dieser Bericht schildert den Anfang eines Projekts zur Erstellung einer Anwendungssoftware bis zur Gründung eines StartUp-Unternehmens. Die Autorin will anonym bleiben.

Wie alles begann

Es war bei einem Objekttechnik-Trainingscamp in Vico Morcote. Ric, alias Richard hatte die Idee für die Entwicklung eines Anwendungssystems für kleine Unternehmen in der Dreiländereck-Umgebung seiner Heimat das Ganze in einer open source community zu organisieren. Wir machten sozusagen aus dem Stand eine Projektskizze und sammelten Namen, wen wir für unsere community ansprechen wollten, verteilten die Aufgaben.

Drei Monate später, wir waren jetzt acht Gleichgesinnte und versammelten uns auf einer Art geräumiger Berghütte in einem Schwarzwaldtal. Das war etwas abenteuerlich, ohne Strom, Dusche, ein kleiner Wasserfall 50 m um die Ecke, sieben Grad kalt, sozusagen eine Ganzkörperweckanlage. Das nächste Dorf fünf Kilometer entfernt. Ganz traditionell mit bunten Karteikarten sammelten wir Ideen, was die Software können sollte. Abends ein großes Kaminfeuer, Gelegenheit, das Tagesergebnis nochmal bei flackerndem Licht zu begutachten, sich ausdenken, wie die Arbeit weitergehen könnte.

Wir einigten uns über die Technik: objektorientiert, hundert Prozent webfähig, keine eingebauten Workflows, benutzerfreundlich im Sinne von wenig Klicks, am besten, man merkt gar nicht erst, dass man mit einem Computer arbeitet. Zwei Tage brainstorming und wir hatten festgelegt, welche Objekte und Methoden in zentralen Libraries untergebracht werden sollten. Dann bastelten wir eine Art Roadmap, die wir später in ein eigens für unsere Arbeit geschaffenes Internetportal stellten. Zuerst verteilten wir die Aufgaben für unsere Library, Devise so knapp wie möglich, erweitern kann man das Ding später immer noch, nach Bedarf. SternJeder griff sich ein Themengebiet, Stammdaten, Benutzerverwaltung, einfache Office-Funktionen, Einkauf, Logistik, Projekte. Produktion, Vertrieb usw. Meine Rolle war die des Schwarzen Sheriffs, ich war also die Qualitätskontrolle, und ich durfte, nein sollte sehr streng sein. Wir entschieden uns für Softwaretools: eine ganz schlichte Projektverwaltung für die Entwicklung und Teamviewer für unsere interne Kommunikation. Dann trennten wir uns, Alexei wieder nach St. Petersburg, Jose nach Lissabon, Chris und seine beiden Kolleginnen nach Amsterdam, wir anderen quer über Deutschland verteilt.

Die erste Phase

Jeder hatte zu tun. Meistens arbeiteten wir von zu Hause aus. In den ersten Wochen schalteten wir uns mit Chris und seinem Team zu kurzen Videokonferenzen zusammen, v.a. um die Anforderungen an die Software-Library zu präzisieren oder zu ergänzen. Das musste ich mir auch ansehen, jedenfalls hatte ich ein Vetorecht. Meistens war ich bei den kurzen Konferenzen dabei.

Parallel bastelte jeder an dem Konzept für die Anwendungssoftware weiter. Die Roadmap bekam in kurzer Zeit kräftige Äste. Da konnte jeder aus unserer kleinen community sehen, wie der Ideentempel immer deutlichere Gestalt annahm. Für unseren Info-Austausch hatten wir uns nicht technisch festgelegt, iPhone und Mail reichten uns.

Zwei Monate später trafen wir uns, jedenfalls die meisten von uns, in einem Institut in Karlsruhe. Wir hatten eine angenehmen Konferenzraum mit einem drei Meter breiten Bildschirm. Alexei und Louisa waren nicht dabei, Alexei hatte sein Visum verdusselt und Louisa Probleme mit ihrer vierzehnjährigen Tochter. Sie schalteten sich bei den wichtigen Themen zu, und wir konnten sie wenigstens auf dem Bildschirm sehen.

Jetzt wurden die Aufgaben schnell sehr konkret. Andreas versuchte uns mit seinen Scrum-Erfahrungen zu beglücken, aber das fand keine Begeisterung: zu bürokratisch, zu straight-on. Wir fühlten uns als free spirits, die Ideen sollten ihren Lauf nehmen, und ich musste mich in dieser Phase ziemlich zurückhalten, Killer-Argumente waren (noch) nicht erlaubt. Kein Problem, denn meine Stunde sollte noch kommen.

Die Realisierung

Nach drei Tagen hatten wir die Aufgaben verteilt und gingen wieder auseinander. Jetzt begann die Phase konkreter, konzentrierter Arbeit. Ich zumindest war froh, für meinen Teil-Job neben meinem Sheriff-Amt das alleine tun zu können, und ich glaube, den meisten von uns ging es genau so. Wir hatten uns eine gute Hintergrund-Dokumentation aufgebaut. Dort wurden auch die nicht realisierten Ideen geparkt, nach dem Motto man kann ja nie wissen ...

Das System nahm rasant Gestalt an. Mit Robert und Klara hatte ich heftige Probleme. Ich musste ihnen die Flügel richtig wehtuend stutzen, und ehrlich gesagt war ich manchmal froh, dass wir uns dabei nicht wirklich physisch getroffen hatten. Wir waren uns im Team einig, dass Wahrheit kein Abstimmungsergebnis ist, und ich hatte das letzte Wort. Fand ich ganz gut, schließlich hatte ich genug Erfahrung, und alle konnten meiner Kompetenz trauen.

Nach weiteren drei Monaten hatten wir einen Prototyp, recht krude und noch nicht so, wie wir uns die angepeilte Benutzerfreundlichkeit vorstellten. Aber die Transaktionen standen, und wir konnten die Interaktivität des Systerms ausprobieren. Andreas hatte eine nette kleine Musterfirma erfunden, mit deren Daten wir das Programm sozusagen unter Fast-Echtbedingungen ansehen konnten. Mannöverkritik, Test und Schönmachen der Funktionen haben wir verschoben und uns lieber entschieden, erst einmal ein großes Fest zu feiern. Jose hatte uns nach Lissabon eingeladen, und da trafen wir uns an einem stürmischen Frühlingstag. Wir haben wenig über unser Software-Baby gesprochen. Wir kannten uns ja nicht wirklich gut. Ich habe die drei Tage richtig genossen und meine Kolleginnen und Kollegen persönlich besser kennen und schätzen gelernt, auch gesehen, wie verschieden wir waren. Aber das gerade war auch sehr reizvoll. Wir verabredeten uns drei Wochen später in einem Ostseestädtchen zu einer strengen Klausur.

Auf dem Prüfstand

Jetzt wurde es wirklich ernst. Das System wurde in die Mangel genommen, nach allen Regeln der Kunst. Ich hatte das zu koordinieren. Richtig wehtuend musste ich feststellen, dass es nicht immer leicht ist, die von Kollegen mit Herzblut entwickelten Features wieder zu Gunsten einer einheitlichen einfachen Präsentation zurechtzubiegen. Ich hatte befürchtet, dass das ganz schön hart werden könnte. Aber wir hatten eine richtig gute Diskussionskultur, hart in der Sache aber lösungsorientiert. Die Idee mit dem Fest war goldrichtig, hat sehr zur gegenseitigen Wertschätzung beigetragen. Es hat einfach Spaß gemacht. Wir haben uns in dieser Arbeitsphase spontan verabredet, immer in kleineren Gruppen getroffen, kurze Aufträge verteilt, die Ergebnisse dann gemeinsam begutachtet. Wer gerade keine konkreten Programmieraufgaben hatte, durfte sich an der Erstellung der situativen Hilfe-Funktion beteiligen oder den Test des Arbeitsergebnisses einer anderen Gruppe übernehmen. Einmal am Tag waren wir alle zusammen, sozusagen für das Update des Informationsstandes.

Wir beendeten die Klausur zwei Tage später als geplant. Zwei Kollegen hatten ein paar kleine Firmen aufgetan, die das System einführen wollten - und das sollte dann unser erster harter Usability Test werden ...

Fazit

Rückblickend betrachtet: Wir hatten einen guten Wechsel zwischen gemeinsamen Arbeitsphasen und Einzelarbeiten. Ideenfindung, Präzisierung der Konzepte, das waren Dinge, die im Team gut vorangetrieben wurden. Wir haben auch oft erlebt, dass der zündende Funke für eine neue Idee sich erst im Gespräch ergab, sozusagen als unerwartetes Geschenk des Himmels. Das Team ist natürlich kein Allerheilmittel; wenn niemand gute Ideen mitbringt, dann fallen auch im Team keine vom Himmel. Jedenfalls hat es große Freude gemacht, kongeniale Kolleginnen und Kollegen zu erleben, sich dem Flow der Gedanken überlassen zu können, sich gegenseitig anzuspornen.

Wir alle waren Profis und wusste natürlich genau, wie wichtig auch konzentrierte ausdauernde Arbeit ist, dranbleiben an einer Sache, auch wenn es einmal anstrengend oder nervig ist. Für mich kann ich sagen, das mache ich lieber allein. Aber sogar für mich war es hilfreich, dass durch die regelmäßige Besprechung in unserem Team eine Art äußere Kontrolle bestand, an den Dingen dranzubleiben. Das ist nicht die Art von Kontrolle, wie wenn ein Projektleiter mit der Peitsche hinter einem steht. Jedenfalls haben wir uns alle gefreut, ein gutes Produkt zustande gebracht zu haben....

 

Karl Schmitz, Januar 2022