Bewerbersysteme

Recruitment, Talent Management und Succession Planning

Die webbasierenden Personalsysteme der großen Softwareanbieter umfassen die - herstellerseitig nur noch in englischer Sprache gehandelten - Themenbereiche recruit management, talent mannagement und succession management, also die Unterstützung von Bewerbungen, Talentpflege, Potenzialbewertung und Nachfolgeplanung. Sie sind allesamt workflow-getrieben, d.h. die einzelnen Arbeitsschritte sind in Art, Abfolge und Zuständigkeit für die Bearbeitung im System festgelegt.

Die Systeme sind allein schon wegen ihrer hohen Überwachungseignung über jeden Zweifel erhaben mitbestimmungspflichtig. Viele Arbeitgeber verfolgen beim Abschluss ihrer Betriebsvereinbarungen die Strategie, Prozess und Technik zu trennen. Die eine Vereinbarung soll sich dann nur noch - unter schwacher Mitbestimmung - auf den Prozess z.B. der Bewerberverwaltung oder der Potenzialbewertung beziehen und die andere Vereinbarung auf die technische Umsetzung der in der Prozessvereinbarung bereits verhandelten einzelnen Arbeitsschritte. Damit ist - aus Arbeitgebersicht - das Thema großen Teils aus der recht starken Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr.6 BetrVG herausgehalten.

Besagter Paragraph räumt aber dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrechte bei der Einführung und Anwendung einer überwachungsgeeigneten technischen Einrichtung ein. Als technische Einrichtung ist hier das betroffene Softwaresystem inklusive seiner hardwaretechnischen Realisierung zu verstehen (z.B. ob und in welchem Umfang es via cloud computing auf mobilen Endgeräten nutzbar ist). Die - wohlgemerkt mitbestimmungspflichtige - Anwendung des Systems umfasst also auch die technische Umsetzung der Organisation und damit die Gestaltung des Arbeitssystems. Aus Sicht des Betriebsrats ist es daher besser, dem Wortlauf des Gesetzes folgend, Prozessablauf und Technik nicht zu trennen, sondern beides in einer Vereinbarung abzuhandeln.

Umsetzung der Prozesse

Bei den heute angebotenen Systemen ist Software nicht mehr Werkzeug in der Hand der Benutzer, sodern folgt eher dem Paradigma Software als Maschine und weist den Benutzern damit die Bedienerrolle zu. Dahinter steckt das alte, in der industriellen Produktion längst überwundene Prinzip des Taylorismus, demzufolge Planung und Durchführung strikt getrennt sind. Die Planung haben die Softwareentwickler hinter den Kulissen des Systems längst bewältigt. Die Rolle der Benutzer ist nur noch die Ausführung der bereits festgelegten Arbeitsschritte.

Diese tayloristische Prinzip hat diverse Nachteile:

  • Es ist unflexibel, d.h. jede Änderung der Arbeitsorganisation bedarf eines Eingriffs in die Software. Die dazu erforderliche Kompetenz hat das Unternehmen aber längst an den Anbieter des via cloud computing genutzten Systems abgetreten.
  • Die oft bis ins kleinste Detail getriebene Vorab-Festlegung der Arbeitsschritte schränkt Initiative, Autonomie und Engagement der mit der Aufgabe betrauten Menschen ein.
  • Das System verengt den sinnvollen Arbeitsprozess auf technisch leicht abbildbare Schritte.

Erfahrene Personaler halten bei einer Bewerbung das Anschreiben des Kandidaten für das wichtigste Dokument. Denn aus ihm geht hervor, ob sich der Bewerber wirklich mit den in der Stellenbeschreibung geschilderten Aufgaben befasst hat. Die Systeme sehen aber nur noch die Ausfüllung vorgegebener Fragebogen vor, deren Beantwortung sich dann leicht einem maschinellen Rating unterziehen lässt. Das besorgen dann die von den Softwareherstellern angepriesenen predictive analytics, wenn sie denn funktionieren. Dazu Bill McDermott, Chef der SAP, im Mai 2017 auf der SAP-Hausmesse in Orlando: "Das System muss uns sagen können, was zu tun ist”, und führte dann als ein Beispiel den Abgleich von Bewerbungen mit dem Anforderungsprofil der Personalabteilung an.

Ein beherztes Weiter so! kann man getrost allen denjenigen zurufen, die uns komplett in die Abhängigkeit von Maschinen treiben wollen. Wir sollten uns fragen, ob das auch unsere Interessen sind.

Grundsätze für die Inhalte einer Betriebsvereinbarung finden Sie hier.

 

 

Ingrid Maas, Oktober 2017