Harari: Nexus
Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz
Zugegeben, ich habe nur den letzten Teil des Buches gelesen. Nicht dass die voranbeschriebenen Spaziergänge durch die Weltgeschichte uninteressant wären, aber nur im letzten Teil geht es um die Computerpolitik, um Demokratien, totalitäre Autokratien und den neuen Silizium-Vorhang, den Silicon Curtain und die Spaltung der Welt in zwei Lager.
Wir erfahren: Das computergestützte Netzwerk ist eine neue Art von Bürokratie, die weitaus mächtiger und unerbittlicher ist als jede bisherige menschliche Bürokratie.
Harari sieht die Selbstkorrekturmechanismen der freiheitlichen Demokratien gefährdet und plädiert für drei Grundprinzipien:
- Fürsorge: Die gesammelten Informationen sollten dazu verwendet werden, den Bürgern zu helfen und ihnen nicht schaden.
- Dezentralisierung: Eine demokratische Gesellschaft sollte niemals zulassen, dass alle Informationen an einer Stelle konzentriert werden.
- Gegenseitigkeit: Der Informationstechnik ist eine immens gesteigerte Überwachungsfähigkeit immanent. Wenn diese schon dazu verwendet wird, Einzelpersonen zu überwachen, dann sollten im Gegenzug Regierungen und Unternehmen ebenso überwacht weden.
Als wichtigste Gefährdungsfelder macht Harari neben der Überwachung die Automatisierung aus und warnt vor dem Irrglauben, dass Computer Menschen in Berufen, die emotionale Intelligenz erfordern, nicht auch ersetzen können.
Mangelnde Transparenz und die Übertragung von immer mehr Entscheidungen an Computer bei versagender Erklärungsfähigkeit untergräbt die Selbstkorrekturmechanismen demokratischer Systeme, bedauert Harari. Er macht die Undurchschaubarkeit der Informationsnetzwerke dann auch gleich (mit)verantwortlich für das Erstarken populistischer gesellschaftlicher Kräfte.
Das alles wird in moderatem Plauderton, quasi unter Einfluss sanfter mentaler Betablocker erzählt, lässt analytischen Tiefgang doch sehr vermissen und ist meiner Meinung nach das schlechteste Buch von Harari. Man kann sich bei der Lektüre ruhig mit Blick auf das Kaminfeuer zurücklehnen, der Ernst der Lage wird sanft in Watte verpackt. Ganz anders das Buch The Coming Wave von Mustafa Suleyman.
Schade anbetracht des großen Einflusses Hararis in der westlichen Welt (die wir gerne für die ganze Welt halten). Das Buch lässt die Chance aus, belastbares Argumentationsmaterial gegen die vielen ablenkenden Phantasien über die Allmacht einer die Weltherrschaft übernehmenden Technik zu liefern. Es sind immer die Menschen, die entscheiden, was die Technik tut. Diese Verantwortung kann nicht an KI-Algorithmen abgegeben werden. Die Angst vor deren Ertüchtigung zu Superintelligenz-Systemen, die autonome Entscheidungen treffen können, ist eine zu billige Ausrede. Menschen entscheiden, was die Technik kann und wie sie eingesetzt wird. Das hätte Harari sehr viel deutlicher sagen können.