ChatGPT - Dein Freund und Helfer. Alles easy oder was?
Die Kurzfassung:
Künstliche Intelligenz wird sich durchsetzen, ignorieren zwecklos. Die Menschen müssen lernen, die KI-Produkte als Werkzeug für ihre Arbeit zu nutzen und darin nicht Systeme sehen, die ihnen die Arbeit wegnehmen. Nur wer sich KI nicht als Kulturtechnik aneignet, muss um seinen Arbeitsplatz fürchten.
Das Buch soll seine Leserschaft davon begeistern, dass man GPT-4 mit Erfolg als Co-Autor benutzen kann, man muss dem System nur die richtigen Fragen stellen, besonders nützlich in frühen Phasen des Brainstorming. In lobenswerter Absicht werden die vielen möglichen Nutzungen zum Erschaffen einer besseren Welt, gleiche Chancen für alle, Vermeidung der als Bias bekannten Benachteiligungen vestimmter Miderheiten...
Leider wird man aber auch den Eindruck nicht los, dass hier viel Schönfärberei im Spiel ist. Mut für Neues zu machen ist ok, aber der vom Autor viel gerühmte und von ihm selbst geforderte kritische Blick auf die KI-Entwicklung kommt doch etwas zu kurz.
Viele Ausführungen in dem Buch sind allerdings inspirierend und machen Laune, darüber weiter nachzudenken, deshalb:
Die Langfassung
Ideen auf Knopfdruck, so der Titel des Buchs von Raid Hoffman, einer der Investoren der ersten Stunde von OpenAI. Ein beachtlicher Teil des Buchtextes stammt von OpenAIs Chatbot GPT 4.0, vom Autor mit dem Status eines Co-Autors ausgezeichnet. Berechtigt wäre das allerdings nur, wenn man der KI-Software einen erkennbaren eigenen Beitrag und eine Verantwortung für das Buch-Kunstwerk zuschreiben könnte. Ob dies der Fall sein kann, mag man bezweifeln, anbetracht des Prinzips der Large Language Models, mit Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung aus den Abermilliarden von Textsplittern anderer Autoren einen neuen Text zusammen zu kombinieren.
Das Mantra des Buches: Die KI als ergänzendes Werkzeug und nicht als Ersatz für die Arbeit. Beruhigung für alle, die KI als Bedrohung ihres Arbeitsplatzes sehen, aber auch Warnung: Wer die neuen Instrumente nicht nutzt, wird um seine zukünftige Arbeit zittern dürfen.
Des Pudels Kern
Gleich in der Einleitung wird klargestellt, dass Chatbots keine bewussten Wesen sind, sondern im Wesentlichen nur Sprachflüsse vorhersagen, also nichts weiter sind als ausgeklügelte Prognose-Instrumente. Schließlich sind sie nur Sprachmodelle, sog. Large Language Models (LLM), die mit riesigen öffentlichen Datenquellen trainiert sind. Der Autor stellt klar, dass diese Simulation kognitiver Fähigkeiten eben nur eine Simulation ist, was er aber immerhin „eine ziemlich große Sache“ findet. Anstatt etwas wirklich Neues zu schaffen, kann ein LLM nur “Informationen neu verpacken, die bereits verfügbar sind“, heißt es auf Seite 25. Wir seien also gut beraten, diese LLMs nur als Werkzeug zu betrachten, nicht als eine Quelle von Wahrheit, Autorität oder Intelligenz. Gut, dass es jemand so deutlich sagt.
Der Autor konzidiert aber auch, dass die Macher der Systeme, vornedran die Jungs (und die wenigen Mädels) von OpenAI durchaus Höheres im Sinn haben, nämlich Maschinen zu erschaffen, die völlig autonom arbeiten können, in der Lage sind, mit „gesundem Menschenverstand“ zu denken und auch über ein Selbstbewusstsein verfügen, eines Tages jedenfalls. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt.
Grüße aus Naivistan
Es werden die üblichen erfolgversprechenden Einsatzfelder der Künstlichen Intelligenz abgeklappert: Bildung, Justiz, Kunst, Journalismus, Soziale Medien.
Neugier, Kreativität und kritisches Denken - Der Autor ist der festen Ansicht, dass diese Tugenden menschlichen Geistes durch einen klugen Umgang mit den neuen Instrumenten gut in Szene gesetzt werden können. Die Kehrseite dieser Medaille ist das Absinken in Mittelmäigkeit und Langeweile, wenn man die Tools die Arbeit machen lässt, die man selbst tun sollte. GPT-4 darf sich z.B. als Inspirator für Schüler selbst zitieren:
„Ich kann personalisiertes Feedback, adaptive Inhalte, Datenanalyse und interaktive Simulationen anbieten, die den Schülern helfen, ihre Fähigkeiten, ihre Neugierde und ihre Kreativität zu entwickeln. Allerdings kann ich menschliche Elemente der Bildung wie Empathie, Motivation und Sozialisation nicht ersetzen. Daher schlage ich vor, dass die Lehrer mich als ergänzende Ressource und nicht als Ersatz benutzen und dass sie eine kritische und reflektierende Haltung gegenüber meinen Leistungen und Grenzen bewahren“.
Raid Hoffman, Ideen auf Knopfdruck, S. 41
Schöne Welt, wenn diese Idee doch in den Lehrplänen verewigt wäre, wenn die Lehrer in ihrem Studium das gelernt und in ihrer Ausbildung geübt hätten ...
Reid Hoffman sieht schon die Rettung der Unterprivilegierten aller Länder in Greifweite, gleiche Bedingungen für alle, endlich auch gleiche Chancen für Kinder einkommensschwacher Eltern, und die Kinder der ganzen Welt: die neuen Werkzeuge plus Lehrer können 600 Millionen Kindern helfen, die derzeit keine echte Bildung erwarten können ... Da bleibt nicht viel zu kommentieren. Die erfahrbare Realität der Welt hat leider ein paar Faktoren mehr als die Leistungsfähigkeit einer neuen Technik.
Das Kapitel Justiz lässt Raids Naivität wahre Purzelbäume schlagen, wenn er davon schwärmt, wie die von OpenAI konzipierten Einsatzmöglichkeiten bewirken weden, die Macht der KI in die Hände der einzelnen Bürger zu legen, in der Hoffnung „sie auf basisdemokratische, dezentralisierte Weise zu befähigen" (S.78). Und schon schrumpfen die bekannten bias-getriggerten Nachteile für Schwarze und Hispanos im amerikanischen Rechtssystem, weit über die Grenzen der USA hinaus, darf man schlussfolgern. Eine bessere Welt.
Ehrenwerte Ambitionen
Auch das Potenzial, den angeschlagenen Jornalismus zu retten, wird der KI-Technik zugeschrieben. Raid Hoffman schildert realistisch das düstere Szenario in den USA: seit 2005 mehr als 2.200 lokale Zeitungen pleite gegangen, Arbeitsplatzverlust für mehr als 40.000 Journalisten (S. 87), obwohl die Informationsflut so gewaltig angestiegen ist: 375 Milliarden Gigabyte pro Tag.
Die verbliebenen Heroen der stumpf gewordenen einstigen Vierten Gewalt haben nun tolle Instrumente für bessere und vor allem schnellere Recherche, für dank KI in Windeseile durchgeführte Fakten-Checks, für einen wirkungsvollen Kampf gegen die Unkultur der fake news. Die Leserschaft kann, auch dank KI, nun selber viel besser ihre Nachrichtenkonsumwege suchen und ihre Nuggets im Meer der Informationen finden.
Alles richtig. Aber da sind noch die Prozesse, die zu der Malaise geführt haben und die immer noch ungebremst am Werk sind:
- Die Presseorgane sind nicht in der Hand von Journalisten, sondern von Managern,
- deren Bossen die Verbreitung der ihnen genehmen Informationen und Meinungen als Grundrecht angedient wird,
- der Beitrag der KI-Sprachmodelle, aus der schon vorhandenen Informationsflut durch Wiederholung noch mehr Information mit hohem Aufblähungsgrad zu erzeugen und
- die schon vorhandene Gewichtung der jeweils herrschenden Meinungen weiter zu verstärken.
Mit seinen vielen Ideen für einen sinnvollen Umgang mit den KI-Tools könnte das Buch von Raid Hoffman auch ein Plan-B-artiger Mutmacher sein für eine verträgliche Zukunft mit der schönen neuen KI-bereicherten Welt. Sicher interessant, wen der Autor seinen Co-Autor GPT-4 beauftragen würde, die schöngefärten optimistischen aber politisch unrealen Beiträge aus dem Manuskript zu streichen.
Einen Super-Tipp für die Entwicklung der eigenen Karriere hält der Autor auch für die Leserschaft parat: Man könne das Sprachmodell eines Chatbots mit eigenem digitalem Material, z.B. auch aus seinen Social-Media-Posts feintrainieren, dieses künstlich erschaffene Wesen dann ganz ehrlich nur als Erweiterung seiner selbst darstellen statt es als sein wahres Ich auszugeben - so könnte man auf persönliche Weise sogar ein Millionenpublikum bedienen, und das auch noch alles total political correct. „Auf uns wartet eine unglaubliche Zukunft mit kreativer Erfüllung und unglaublicher Wirkung" (S. 119). Darauf warten wir alle voller Sehnsucht.
Absturz in den Mainstream
Das Buch bietet viele Seiten mit praktischen Kostproben der gerühmten Co-Autorenschaft mit GPT-4, Aufgaben wie Strategieempfehlungen für Vertriebler, Ratschläge für Juristen, Unternehmensberater, Vorschläge für Bewerbungen oder Markenentwicklungen und Prognosen für das Jahr 2035.
Die Co-Autor-Texte erweisen sich allerding bei näherem Hinschauen als peinlich jedes Konkretsein vermeidend, eine Sammlung von Allgemeinplätzen, sehr formal gehaltenes Bla-Bla auf hoher Abstraktionsebene. Anbetracht der vielen Zeit, die Raid mit dem Tool verbracht haben will, beschämen die mageren Ergebnisse doch beachtlich. Hier eine Kostprobe dieser Co-Autorenleistung, in der es darum geht, wie ein Manager die Zusammenarbeit seiner Mitarbeiter mit der KI organisiert:
[Der Manager] machte sich schnell an die Arbeit und entwickelte das System. Er nutzte KI, um die Aufgaben für jeden Mitarbeiter zu definieren und maßgeschneidertes Feedback zu geben. Außerdem nutzte er KI, um die Stimmung seiner Mitarbeiter zu analysieren und ihnen rechtzeitig Anerkennung für ihre Leistungen zukommen zu lassen. Die Ergebnisse waren sofort zu sehen und beeindruckend. Die Produktivität stieg sprunghaft an, da sich die Mitarbeiter motivierter und engagierter bei ihrer Arbeit fühlten...
Raid Hoffman, Ideen auf Knopfdruck, S. 132
Die Chatbot-Antwort verwundert natürlich nicht, wenn man sich klar macht, dass dahinter ein mit vielen Milliarden öffentlich zugänglichen digitalisierten Texten trainiertes Sprachmodell, ein LLM, steckt. Das System kann nur das digital wiederkäuen, was es in seinem Futter gefunden hat. Erinnerungen an Johanna Spyris Kinderbuch kommen auf: Heidi kann brauchen, was es gelernt hat, eine Weisheit aus dem Jahr 1881 (das Erscheinungsjahr des Buches).