Das Google-Trauma

Googles Selbstbild vom gutmütigen Internet-Riesen hat schon seit einiger Zeit Risse bekommen: Zensurvorwürfe, Datenschutzprobleme und vor allem die dominierende Stellung im Suchmaschinen- und Internetanzeigenmarkt beschweren das Google-Image. Google reagiert weitgehend ungerührt und antwortet stattdessen mit neuen Onlinediensten und Ideen, die es Schlag auf Schlag auf dem Markt plaziert.

Bislang machte das hohe Innovationstempo in erster Linie Googles offensichtlichen Konkurrenten von Microsoft bis Yahoo Sorgen. Tatsächlich wird es aber nicht mehr lange dauern, bis der Internetriese mit seinen technischen Konzepten und seiner Marktmacht in neue Geschäftsbereiche vordringen wird, um dort den etablierten Anbietern das Wasser abzugraben. So manchem Manager sollte die Bemerkung einer Projektleiterin eines großen Medienhauses nach einem Besuch in Googles europäischer Code-Schmiede in London zu denken geben: "Der Weg zurück in unsere Firma war wie der Weg zurück in die Steinzeit."

Googles Erfolgsrezept

Über 30 verschiedene Software-Tools bietet der Suchmaschinenriese Google auf seinen deutschen Webseiten zur kostenlosen Benutzung an. Darunter bekannte Dienste wie Google Maps oder Google News, aber auch nicht ganz so bekannte Tools wie Googles Online-Kalender oder ein onlinebasiertes Textverarbeitungs und Tabellenkalkulationsprogramm. Wer sich auf die englischsprachigen Google-Seiten wagt, kann weitere Google-Projekt entdecken, zum Beispiel Google Trends, mit dem die Popularität von Suchabfragen im Zeitverlauf untersucht werden kann, oder Google Mars, bei dem Pfiffigkeit und Spaßfaktor Fragen nach dem beschränkten Nutzwert für Nichtastronomen überflüssig machen...

Zur Zeit nur für die USA abrufbar: Googles Blick auf die Straße

Googles kostenlose Services ziehen User von fremden Webdiensten und Programmen ab: Google-Mail verdrängt Freemail-Anbieter. Googles Online-Office-Programme stehen in direkter Konkurrenz zu Microsofts Office-Suite (Word, Excel, Powerpoint). Bemerkenswert ist auch der Erfolg der Nachrichten-Verwurstungs-Maschine Google-News. Sie ist mittlerweile eine der beliebtesten News-Quellen für internet-affine User. Zeitungsverlage die ihre Nachrichtenangebote nicht auf die Google-Technologie ausrichten, riskieren, nicht mehr im Nachrichtenfluß von Google News aufzutauchen und von den Internetnutzer übersehen zu werden. Nicht zuletzt die effiziente Nachrichtenaufbereitung durch Google News dürfte dazu geführt haben, dass Bezahlinhalte in den Auftritten deutscher Zeitungen vor dem Aussterben stehen.

Google ist aggressiv. Unverblümt greift Google alteingesessene Platzhirsche auf anderen Feldern an: Für einigen Wirbel haben jüngst die Ankündigungen gesorgt, dass Google ein frei verfügbares Betriebssystem für Mobiltelefone noch in diesen Jahr auf den Markt bringen will. Nokia und Co gehen schon mal in Deckung.

Aber Google schafft durch seine Eigenentwicklungen auch selbst neue Märkte und Marktchancen. Mit Google Maps und Google Earth hat das Unternehmen einen ganzen Strauß neuer Onlinedienste möglich gemacht, von denen die meisten Menschen bis vor wenigen Jahren noch gar nicht wussten, dass sie das Leben erleichtern können. Heute ist es kein Problem mehr, sich alle Fischrestaurants in Hamburg auf einer Karte anzeigen zu lassen oder ausgesuchte Wanderwege in den Alpen.

Im großen Stil lässt Google dabei Fremd-Entwickler für seinen Erfolg arbeiten: Dazu stellt Google Schnittstellen zu seinen Diensten zur Verfügung, die Programmierer für eigene Entwicklungen nutzen können. Ohne eigenes Zutun sorgt diese Strategie für die schnelle Verbreitung vieler Ideen. Erfunden hat Google das alles nicht, aber kaum ein Softwarehersteller hat in der Vergangenheit die Möglichkeiten, Fremdprogrammierer einzubinden, so offensiv genutzt.

Google unterstützt Innovationen aus dem eigenen Haus: Programm-Entwickler erhalten einen freien Tag nur für eigene Projekte. Ideen der Beschäftigten landen auf einer Mailingliste für alle Interessierten und können dort diskutiert werden. Mehrmals jährlich finden gemeinsame Sitzungen von Entwicklern und Management statt, auf denen die besten Ideen ermittelt und besprochen werden . (Und wenn tatsächlich mal ein Internet-Trend verschlafen wurde, legt Google auch einfach mal die eine oder andere Milliarde auf den Tisch, um den Zug in die Zukunft ja nicht zu verpassen.)

Mit trendigen Wettbewerben fördert Google - unter seinen Fittichen - den Wettstreit um die besten Ideen für die Zukunft des Internets: Zum vierten Mal lädt Google dieses Jahr mehrere Hundert Studenten und Jungprogrammierer zum "Summer of code" ein. Mit je 5000 US-Dollar unterstützt Google deren Mitarbeit in Open-Source-Projekten. Letztere müssen nicht mal unbedingt zum Google-Reich gehören. Google baut gute Kontakte zu den Top-Entwicklern von morgen auf.

Was tun?

Natürlich ist Googles Marktmacht ein nicht zu unterschätzender Faktor für den Erfolg vieler Google-Ideen. Aber Google ist nicht überall und wird nicht jedes Möbelhaus auf dem flachen Land frontal angreifen. Im Netz warten freilich noch viele andere Internet-Firmen auf ihre Chance und Entwickler auf die Idee ihres Lebens. Und Google stellt ihnen viele Werkzeuge für neue Geschäftsideen zur Verfügung.

Wer weiter schläft, verliert!

Aufwachen!

Jedes Unternehmen hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz: Keiner kennt die eigene Kundschaft besser als die Belegschaft. Niemand hat bessere Voraussetzungen, zu erfahren, welche Dienstleistungen oder Produkte beim Kunden auf Interesse stoßen werden.

Um das eigene Ideen-Potenzial ausschöpfen zu können, sind allerdings motivierte und kreative Mitarbeiter wichtiger denn je. Unternehmen müssen daher endlich und im höchsteigenen Interesse ein Betriebsklima schaffen, in dem sich die Mitarbeiter im besten Sinne des Wortes "wohl fühlen". Denn Kreativität kann sich nicht in einer eingeschobenen 30-Minuten-Sitzung entfalten.

Wer Ideen "heben" kann und die Strukturen geschaffen hat, Entscheidungen kompetent und schnell zu fällen, hat bereits einen Großteil der Arbeit hinter sich gebracht.

Die getroffenen Entscheidungen müssen im Internetzeitalter freilich rasch umgesetzt werden. - Wohl demjenigen Unternehmen, dass seine Entwicklerteams noch nicht völlig aus dem Haus gegeben hat...

Dirk Hammann, tse GmbH

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