Sandra S. ist Solution Managerin in einer international tätigen Softwarefirma und dort zuständig für das trouble shooting. Sie bezeichnet sich selbst als typische Rucksackarbeiterin. Das ist natürlich erklärungsbedürftig.
Sie sagt, ihr mache es nichts aus, in das Büro zu kommen, ihr Notebook aus ihrem Rucksack auszupacken und sich an einem freien Arbeitsplatz einzustöpseln. Mehr brauche sie ja nicht, denn arbeiten könne sie von überall aus, an alle für ihre Arbeit erforderlichen Informationen komme sie schließlich online ran. Klar, bei einem umständlich organisierten Back Office sei das natürlich ein Problem, das wisse sie noch von früher.
Viele Kolleginnen und Kollegen sehen das natürlich anders. Da gibt es welche, für die es wichtig ist, einen festen Arbeitsplatz zu haben, an dem sie auch ein paar persönliche Sachen postieren können.
Viele Firmen haben die Corona-Pandemie genutzt und die Zahl der Arbeitsplätze deutlich verringert. Den Beschäftigten steht dann ein Buchungssystem zur Verfügung, das sie nutzen müssen, um sich einen Arbeitsplatz zu reservieren. Unsere Protagonistin Sandra hält nichts von dieser Methode. Sie sagt, für sie undenkbar. Ins Büro zu kommen, sei meist eine spontane Idee, meist wenn sie sich mit Kollegen dort verabredet habe. Das müsse jederzeit möglich sein. Viele Ideen seien bei spontanen Treffen zustande gekommen, sagt sie. Ihr Arbeitsbereich in der Firma sei auch kein typisches Großraumbüro, eher eine verteilte Landschaft auch mit Nebenräumen und Cafe-Ecken, wo man sich in angenehmer Atmosphäre treffen und auch schon einmal einen Raum abriegeln kann für ein vertrauliches Team-Meeting.
Dass es kein Zurück zum status quo der Vor-Corona-Zeit geben wird, ist klar. Will man die Zukunft nicht dem trial-and-error-Verfahren des Zufalls überlassen, braucht es ein paar Überlegungen:
Arbeitsbereiche identifizieren | |
Überall wo es bisher Home Office gab, ist klar, dass diese Praxis teilweise beibehalten wird. Zur Debatte steht, ob man in Zukunft auch noch so viele Arbeitsplätze wie in der Vor-Corona-Zeit braucht. Dies hängt von der Art der Arbeit ab. Es gibt Bereiche, da kann (nahezu) alles via Home Office erledigt werden, andere Bereiche, in denen dies nur mit deutlichen Einschränkungen geht und auch Situationen, in denen das Arbeiten von anderswo absolute Ausnahme ist. Diese Bereiche sollten identifiziert werden, denn sie brauchen unterschiedliche Lösungen. |
Art der Zusammenarbeit feststellen | |
Zunächst ist die Frage zu klären, wie das Verhältnis von Einzelarbeit zu Arbeit im Team ist. Genügt es, sich nur gelegentlich zu treffen oder ist mehr oder weniger häufige Zusammenarbeit mehrerer Personen erforderlich? Zu welchen Zwecken trifft man sich zu mehreren Personen? Handelt es sich dabei
Wie hoch ist der geschätzte Anteil unterschiedlicher Arbeitsformen am Gesamtvolumen der Arbeit? Wie wichtig ist es, dass spontane Treffen zu mehreren Personen möglich sind? Gibt es Menschen, für die eine Arbeit im Home Office nicht möglich ist, gleich aus welchen Gründen? Das Unternehmen muss ihnen auf jeden Fall einen Arbeitsplatz in der Firma zur Verfügung stellen. Gerade die Bedeutung sponaner Treffen wird oft unterschätzt. Neue Ideen entstehen höchst selten nach Zeitplan. Sie brauchen Umgebungen, die assoziatives Denken nicht nur zulassen, sondern dieses idealerweise fördern, Dinge auch einmal über den Tellerrand hinaus denken zu dürfen. |
Regeln für die Zusammenarbeit | |
Beispiele v.a. aus der späteren Corona-Zeit, wo den Beschäftigten zwei oder drei Tage Pflichtanwesenheit am Arbeitssplatz verordnet wurden, sind hinreichend bekannt. Wir halten dies für keine gute Idee. Grundsatz: Die Teams bestimmen selbst, wie sie arbeiten wollen, z.B. regelmäßig Montag morgens oder Donnerstag vormittags Treffen mit Präsenzempfehlung, aber mit Zuschaltmöglichkeit von anderswo, generell oder nur ausnahmsweise, Treffen nur bei definierten break points innerhalb eines Projekts oder nur nach Ankündigung für gemeinsame Aktionen wie Schulungen oder Coachings oder überhaupt nur on demand. |
Räume und Ressourcen planen | |
Nach Klärung, um welche Arten des gemeinsamen Arbeitens es sich handelt, kann man die zur Unterstützung erforderlichen Ressourcen planen:
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Home Office nicht vergessen | |
In den meisten Firmen hat man hieran zuerst gedacht und die technische Ausstattung zur Verfügung gestellt. Die Beschäftigten verfügen in der Regel über ein Firmen-Notebook, eine Dock-Station mit größerem Bildschirm, Kamera und Headset, ergonomischerer Tastatur und einem Drucker. Doch beklagen viele Betroffene die schlechtere Ausstattung für ihr Home Office. Auf der Arbeit haben sie z.B. zwei große Bildschirme, im Home Office dagegen nur ein deutlich kleineres Exemplar. Der Rechner ist oft auch nicht der schnellste, und die Berechtigungen sind nicht dieselben wie in der Firma. Wenn man dann auch noch privates Equipment verwenden muss, gibt es noch zusätzliche Security-Probleme. Nur wenige Firmen stellen ihren Leuten auch Büromöbel zur Verfügung. Bezüglich der Ausstattung sollte man sich dringend auf Mindeststandards einigen, v.a. ergonomische Anforderungen, denen die Geräte und sonstigen Einrichtungen genügen müssen. Selten findet man Unterstützung für den psychischen Umgang mit der Home Office-Situation. Diese stellt sich sehr unterschiedlich dar, je nachdem ob man in einer engen Wohnung zu Hause ist, von schreienden Kleinkindern umgeben ist, über Rückzugsräume für die Arbeit verfügt oder allein lebt. Deshalb kann es auch keinen Zwang zum Home Office geben.
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Führungskultur anpassen | |
Viele Führungskräfte haben Probleme mit dem virtuellen Arbeiten. Die Situation, ihre Leute nicht mehr zu sehen, ist für viele Chefs ungewohnt. Die neuen Strukturen erfordern es, die traditionellen Vorstellungen von Kontrolle aufzugeben. Doch leider ist die stattdessen erforderliche Vertrauenskultur oft nur Stoff für Sonntagsreden. Ein Team zusammenzuhalten, dessen Mitglieder nicht ständig zusammenarbeiten, fordert neue Führungsqualitäten, die eher die informelle Kommunikation betreffen. Wenn man diese wegdigitalisiert hat, dann wird die Luft dünn. Nicht gerade förderlich für die Kultur ist auch die umfangreiche Eignung vieler Software-Tools zur Überwachung von Leistung oder Verhalten der Beschäftigten. Für Betriebe, in denen es qua gelebter Führungskultur kein No Go ist, solche Instrumente einzusetzen, kann man nur hoffen, dass die zuständigen Betriebsräte dies verhindern. |
Einheitliche Regelungen für alle Arbeitssituationen versprechen wenig Sinn. Dennoch kann es hilfreich sein, Guidelines mit Empfehlungscharakter für unterschiedlichen Szenarien herauszugeben und eine Ansprechstelle zur Verfügung zu stellen, an die sich Teams oder ihre Führungskräfte wenden können, um konkrete Unterstützung zu erhalten. Das Unternehmen sollte auch klarstellen, dass ein Budget für die erforderlichen Maßnahmen vorhanden ist und nicht jeder Veränderungswille im Mangel an Geld erstickt.
Karl Schmitz, Januar 2022 |