Modelle für hybrides Arbeiten

Es sind wieder einmal die Digitalfirmen, die mit Lösungsangeboten vorpreschen, viele Unternehmen fühlen sich offensichtlich mit eigenen Modellen überfordert.

Viele Unternehmen basteln an Konzepten, nach einer PwC-Studie von Ende 2021 angeblich 96 Prozent. Meist handelt es sich dabei um Regelungen zur Präsenzpflicht. Diese beziehen sich auf bestimmte Tätigkeitsbereiche oder auf einen festgesetzten Anteil von Anwesenden im Büro. Und die Motive dafür findet man hauptsächlich beim Kosten Sparen, vor allem für Büroflächen. PwC meint feststellen zu können, dass die diesbezüglichen Blütenträume (60 Prozent Einsparungen) bereits in Jahresfrist der Anpassung an die Realität zum Opfer gefallen sind; Ende 2021 rechnete man angeblich nur noch durchschnittlich mit einem Einsparpotenzial von 20 Prozent.

Ausschließlich Home Office stößt an empfindliche Grenzen. Kein Ort für vertrauliche Meetings. Zusammenarbeit braucht zumindest gelegentliche gemeinsame Absprachen. Mitarbeitende fühlen sich oft isoliert, abgeschnitten, deprimieret. Und die individuellen Bedingungen zu Hause sind zu verschieden, Familiensituation, schlechte Internetverbindungen u.v.m. Der Weg aus dem Schlafzimmer durchs Badezimmer über den Küchentisch zur Arbeit ist keine akzeptable Situation. Es geht auch nicht an, dass nur Bestverdienende sich das Home Office komfortabel einrichten können, mit leistungsfähiger Technik, ergonomischen Möbeln usw. Schwieriger gestaltet sich das Management der Arbeitsbeziehungen - hier ist allein mit Geld nicht geholfen:

Das Büro der Zukunft ist in erster Linie ein sozialer, kommunikativer und kollaborativer Raum, der das psychologische Bedürfnis der Mitarbeiter befriedigt, sich verbunden zu fühlen. Es ist auch ein Ort, an dem Manager, Vorgesetzte, Abteilungsleiter und Teamleiter sensible Gespräche mit ihren Mitarbeitern führen können. Und es ist ein zentraler Knotenpunkt, an dem gemeinsam genutzte Geräte und andere Ressourcen untergebracht sind.

Quelle Mike Elgan, Wozu überhaupt noch Büro, in Computerwoche vom 26.1.2022

Modelle zur Rettung von zumindest ein bisschen Zusammenarbeit sind daher dringend gefragt. Dazu drei noch zaghafte Modelle:

Das Kaffeehaus-Modell
 

in Anlehnung an öffentliche Kaffeehäuser früherer Zeiten, in denen sich Geschäftsleute, Journalistinnen und Politiker trafen, um zu lesen, zu debattieren oder auch nur zum Tratschen. Die Firma bietet einen minimalen Raum an, in dem man sich treffen kann, und der ist ausgestattet mit dem nötigsten Mobiliar, Internet-Anschluss und Zugang zu den internen Systemen der Firme - und einer Kaffemaschine.

Erweitertes Kaffeehaus: Das Club-Modell
 

Bessere Technik als das einfache Modell: Hochgeschwindigkeitsnetz, Videokonferenzmöglichkeiten mit Zuschalten nicht anwesender Kolleginnen und Kollegen, hochwertige Drucker und andere High-Tech-Bürogeräte, die zu groß oder zu teuer für das Home-Office sind. Und besseres Ambiente drum herum. Rückzugsräume,vielleich auch eine kleine Bar ...

Professionell ausgebaut: Das Hotel-Modell
 

Nach diesem Modell reservieren sich die Mitarbeitenden Arbeitsplätze oder Konferenzräume im Voraus. Man muss sich einchecken und bei Verlassen der Firma wieder ausschecken. Die Software blockiert die reservierten Ressourcen und gibt sie wieder frei. Dieser Prozess wird durch digitale Tools gesteuert, die speziell für die Reservierung von Ressourcen entwickelt wurden.
So lassen sich die bereitgestellten Büroflächen begrenzen. Gleichzeitig wird den Mitarbeitenden ein formal gleichberechtigter - aber nur gelegentlicher - Zugang zur Firma geboten, allerdings nicht gleichzeitig für alle Beschäftigten.

Um das Zusammenkommen der neuen digitalen Nomaden nicht in Frust und Chaos landen zu lassen, braucht es Technik, die genau das verhindert. Die derzeit (2022) von Ex-SAP-Chef und Verkaufsgenie Bill McDermott geleitete Firma ServiceNow hat sich hier bereits eine führende Marktposition erarbeitet und bietet mit ihrer Workplace Service Delivery-Lösung eine Menge nützlicher Mittel.

Der Software-Instrumenten-Kasten
 

An vorderster Stelle werden hier Buchungssysteme angeboten, ähnlich wie booking.com oder hrs.de, allerdings nicht für Übernachtungen, sondern spezialisiert auf Arbeitsplätze. „Unsere Tools unterstützen täglich Millionen von Menschen dabei, zusammenzuarbeiten”, behauptet Marktführer Condeco.

Projekte müssen geplant werden, z.B. mit Jira, das sich als Tool für agile Teams ausgibt. Vertriebler sind auf funktionierende CRM-Systeme angewiesen, denn Kolleginnen und Kollgen für den schnellen Austausch stehen nur eingeschränkt zur Verfügung. Messaging Tools wie Slack oder Mattermost, Cloud-Telefonsysteme z.B. von TopLink, und das ganze Spektrum der Videokonferenz-Tools von Zoom bis Microsoft Teams sollen die kommunikative Zusammenarbeit unterstützen. Für weitergehende Ansprüche gibt es Conference Spaces, mit denen sich ganze Town Hall-Meetings oder ähnliche „events” durchführen lassen, nach dem Motto Vorstand spricht zur Belegschaft, seltener bis überhaupt nicht genutzt von Betriebsräten für Betriebsversammlungen.

Und damit die Beschäftigten - wie beim Schritte-Zähler ihrer Lifestyle-Uhr - jederzeit wissen können, wie sie die vielen schönen Software-Tools genutzt haben, gibt es die Produktivitäts-Tools direkt aus der Cloud, auch hier wieder ganz vorne dabei: Microsoft mit myAnalytics oder Workplace Analytics, alles schön integriert in Viva oder was - wenn Sie dies lesen - schon danach auf den Markt geworfen wurde.

Nicht zu vergessen auch die Schulungs-Plattformen. Und für alle, die der Zeit schon voraus sein wollen, erste Geh-Übungen mit Virtual Reality, damit es mehr Spaß macht gleich angereichert mit Elementen aus der Gamification (vgl. contact and collaborate in a virtual space von ronday).

Bemühen um die soziale Komponente
 

Die Technisierung der Kommunikation hat ihre Kehrseite. Allein die Integration „emotionaler Feedbacks” durch Integration von emojis reicht nicht, hat sich auch ServiceNow gedacht. Deshalb können Mitarbeitende sich nicht einfach nur anonym Arbeitsplätze buchen, sondern gezielt Plätze neben der Lieblingskollegin oder wichtigen Kollegen. Die Algorithmen, die das unterstützen, werden selbstverständlich als Künstliche Intelligenz vermarktet, beruhen aber bescheidener ausgedrückt auf Nähe als Selektionskriterium.

Usability ist wichtig, mit möglichst wenig Klicks, z.B. nach der Auswahl eines Arbeitsbereichstyps (Schreibtisch oder Konferenzraum) schlägt das System dann vor, was wann mit wem geht, Zugriff auf die Kalender der Kolleginnen und Kollegen natürlich vorausgesetzt.

Und das Finden der richtigen Räume wird natürlich auch unterstützt, wichtig für Beschäftigte, die sich nach langer virtueller Ferne wieder in der Firma zurecht finden müssen.

Für Corona-Verängstigte gibt es auch noch Tools zur Kontaktverfolgung. Vielleicht hat man aber inzwischen schon wieder diese Vorauseilender-Gehorsam-Algorithmen entfernt.

Über die bisherige Praxis beklagen viele Betroffene, dass Brainstorming, Meetings zum Austausch vor Ort oder gemeinsame Mittagessen komplett wegfallen und damit auch der kreative Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen stark leidet. Dies fällt besonders dann ins Gewicht, wenn man in einem Bereich tätig ist, in dem die Zusammenarbeit ein wichtiger Bestandteil der Arbeit ist. Ungeplante Interaktionen oder spontane Verabredungen sind bei allen Beschäftigten am stärksten zurückgegangen, so eine PwC-Studie von Anfang 2022. Dies alles sind Fakten, die bei der Bewertung von Produktivität übersehen werden, wenn das Augenmerk auf die Nutzungshäufigkeit der elektronischen Tools gerichtet bleibt.

Die verfügbaren technischen Tools stellen zweifelsohne eine Erleichterung für die Vermeidung des Vereinsamungs-Trends dar, doch eine integrierte Chat-Funktion bringt die Menschen nicht wirklich zusammen.

Auf der grünen Wiese lassen sich leicht Modelle für die Zukunft entwickeln. Die meisten Unternehmen müssen aber mit dem status quo ihres historischen Gewordenseins zurecht kommen. Die Zeit, in der die Arbeitsplätze von Vor-Corona physisch noch vorhanden sind, sollte genutzt werden, um neben der Zielvorstellung, wie die Arbeit in der Zukunft organisiert werden soll, auch zu überlegen, wie der Übergang von der Gegenwart in die Zukunft gestaltet wird. Jetzt ist es noch nicht mit Schwierigkeiten behaftet, den Beschäftigten außerhalb vereinbarter Präsenzzeiten frei zu stellen, ob sie im Home Office arbeiten oder lieber in die Firma kommen wollen. Doch das wird nicht so bleiben.

Karl Schmitz, Februar 2022