Erfahrungen mit der elektronischen Post

Eine Frage der Arbeitskultur

"Ich habe Jahre gegeben, um mir alle diese Technologien auszudenken, jetzt sind alle Freunde weg, und ich bin immer noch Single."
Zarco Draganic, ehemaliger Injternet-Unternehmer, 33 Jahre, im Juli 2000.

"Meine Online-Verbindungen halten länger als meine Beziehungen. Ja, ich bin ein anonymer Surfer."


Eine junge Frau (bauchnabelfrei) in einer Anzeige des Internet-Providers planet-Intercom (3. Juli 2000)
Viele Beschäftigte fühlen sich durch den vermehrten Umgang mit der elektronischen Post im Ablauf ihrer Arbeit
belästigt. Die amerikanische Firma Pitney Bowes Inc. (Stamfort) stellt in einer empirischen Untersuchung (USA, Canada, England) fest, daß 42 Prozent aller Angestellten darüber klagen, dass ihre regelmäßige Tätigkeit etwa alle 10 Minuten durch einkommende elektronische Post unterbrochen wird (bei weiteren 35 Prozent alle 12 - 20 Minuten).

Die elektronische Kommunikation wird von vielen Befragten als unpersönlich empfunden, Anfragen über e-mail oft als unhöflich.

"Das Problem mit e-Mails ist ähnlich wie mit Faxen. Während letztere durch viele Hände gehen, durchwandern erstere unzählige Computer und sind spätestens vom Sysop (System Operator) Ihres Arbeitgebers (meist ein speckiger, schlechtrasierter Typ mit schmutzigen Phantasien) zu lesen....

Wirklich Bedeutendes hat in e-Mails ohnehin nichts zu suchen, denn sie sind

  1. unpersönlich, weil nicht unterschrieben,
  2. vergänglich, ein Tastendruck genügt, um sie in den elektronischen Orkus fahren zu lassen;
  3. unendlich reproduzierbar.

Mails sind überaus virtuell und deshalb nichts für echte Gefühle."


Quelle: Kommunikation mit Klasse, aus GQ 7/99, S.76

Und was ist mit Chats?

Die Zeitverzögerung durch den Offline-Charakter erzeugt
Unzufriedenheit, wenn es sich um Dinge handelt, die schnell gehen sollen.

"Viele scheinen sich nach dem persönlichen Gespräch zurückzusehnen, weil es hilft, persönliche Beziehungen auszubauen und schneller Entscheidungen zu erzielen"

Trotz moderner Kommunikationssysteme fühlen sich Mitarbeiterin Unternehmen immer schlechter informiert. Nach einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik IPA in Stuttgart (August 2001) befassen sich Führungskräfte im Durchschnitt etwa 20 Minuten pro Tag mit der Durchsicht fehlgeleiteter E-Mails oder nicht angeforderter Informationen - ein Zeitverlust, den sich viele Manager nicht leisten wollen.

Die Unternehmensberatung Frost & Sullivan fand in einer Untersuchung amerikanischer Unternehmen heraus, dass die mit Kundenanfragen betrauten Abteilungen die täglichen E-Mail-Berge nur durch zusätzliche Überstunden abtragen können. Mancher Arbeitgeber, so heißt es weiter, veranstalte bereits E-Mail-Partys während der Nacht, um den Rückstand in der Postbearbeitung aufzuholen.

Ein probates Gegenmittel ist erst in Ansätzen in Sicht. In den USA, so ein weiteres Ergebnis von Frost & Sullivan, setzen IT-Leiter E-Mail-Management-Software ein. Diese Systeme analysieren anhand von vordefinierten Schlagworten den Inhalt der Nachrichten im Posteingang und kennzeichnen die elektronische Post mit bestimmten Merkmalen wie Kunden- oder Bearbeitungsnummern.

Das Vermeiden von überflüssigen E-Mails und unerwünschten Reports lässt sich auch dadurch in den Griff bekommen, dass man das übliche Bring-System durch ein Hol-Prinzip ersetzt. Danach greifen die Nutzer mit einem Browser auf einen Informationspool zu und holen sich die gewünschten Nachrichten auf ihren Rechner. Statt am Arbeitsplatzrechner täglich neue Reports in lokalen Ordnern zu sammeln, abonnieren die Mitarbeiter die für sie wichtigen Berichte.

Ein anderer Weg sind lernfähige Programme, die versuchen, den Inhalt und den Zusammenhang von E-Mails zu erfassen. Die Software erkennt Muster innerhalb einer Anzahl von Nachrichten. Basierend auf dieser Lernmenge ist beispielsweise das Mailing-Programm des Spezialanbieters Ser in der Lage, auf neue und unstrukturierte E-Mail-Inhalte selbständig zu reagieren und Vorschläge für Antworten zu formulieren.

Elektronische Vorzimmerdrachen und andere Vorschläge

Quelle: Eine Art Elektronischer Vorzimmerdrachen - E-Mails stören Arbeitsabläufe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Oktober 1998, S. 32

Perspektiven

Zum Thema noch ein schönes Zitat:

 

Über jeden Zweifel am Nutzen erhaben ist die e-mail natürlich für alle neuen Sebständigen, die auf berufliches Networking angewiesen sind. Dass die eher nomadischen Amerikaner sich leichter mit dem Medium tun als die weniger mobilen Europäer, speziell die Deutschen, ist auch verständlich. E-mail ist unersetztlich für alle, denen die Ortlosigkeit ihrer Arbeit entscheidende Vorteile bringt. Dass dieser Personenkreis immer größer wird, dürfte auch zu den feststehenden Tatsachen gehören.