Sie sind in Deutschland nicht die Hochburgen modernen Managements. Jahrzehntelang haben viele von ihnen als regionale Quasi-Monopolisten Wettbewerb nicht nötig gehabt. Bei ihren technischen Innovationen stand eher Ratlosigkeit Pate. Dies sieht man deutlich an den Online-Auftritten der Tageszeitungen, deren es im Sommer 1998 rund 150 gibt. Viele Verlagshäuser haben eine Werbeagentur oder oft auch eine von der Illusion des schnellen Geldes angelockte Startup-Company mit ihrem Internet-Auftritt beauftragt. Den Leitgedanken dieser Bemühungen kann man kurz und bündig zusammenfassen:
Viele Zeitungs- und Zeitschriftenverlage haben ihre Online-Redaktionen als Mini-GmbHs ausgegründet, und hin und wieder mussten zur Rechtfertigung sogar die Betriebsräte herhalten, durch deren Mitbestimmungsansprüche man nicht gestört werden wollte. Doch viel zu stören gab es nicht: Bunter Schnickschnack, ästhetische Anleihen bei den Billigprintmedien, verwarloste Chat-Ecken mit Banalitäten vollgestopft, Irrgärten für die Navigation, so stellen sich immer noch viele Präsentationen dar. Die Verlagshäuser haben es versäumt, eigene Kompetenz aufzubauen - dies gilt sowohl für die Technik als auch für die Konzepte. Jetzt bekommen sie bereits die ersten Quittungen präsentiert, was sie allerdings noch nicht aus dem mentalen Dauerschlaf aufschreckt. Und die Quittungen kommen wieder einmal aus ganz anderen Ecken als vermutet. Nicht die Konkurrenz von Online-Zeitungen macht den Verlegern und ihren Management-Nachfahren zu schaffen, sondern das Wegbröckeln ihres traditionellen Anzeigenmarktes. Und um im Anzeigengeschäft mitzumischen, muß man kein Zeitungsverlag sein. Die Verleger haben entweder bereits ihren Startvorteil verspielt oder mühsam eine Aufholjagd gestartet.
Vier Gruppierungen lassen sich bei dem Versuch erkennen, wie der Anzeigen-Online-Markt erobert werden soll. Sie reichen bei den Titelverteidigern vom sich auf die eigene Füße stellen bis zu Zusammenschlüssen. Branchenfremde machen ihnen das Geschäft streitig:
1. Zeitungen
Fast alle deutsche Tageszeitungen haben inzwischen eine Online-Redaktion, die Hälfte davon betreibt zumindest einen Kleinanzeigen- oder Rubrikenanzeigenmarkt, nach Aussagen des Multimedia-Referats des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (Quelle: Global Online Nr. 8/1998, S. 49). Wer sich das ansehen will - hier ein Link zu ein paar Tageszeitungen und ihren Internet-Auftritten. Rubrikenorientierte Dienste wie z.B. der Stellenmarkt der Zeitschrift Die Zeit lassen die Vorteile gegenüber dem Blätternmüssen grosser Zeitungsseiten schnell erkennen. Selber zusammenstellen kann man sich seine Zeitung (Nachrichten und Anzeigen) bei der HNA Kassel. Man muss sich registrieren lassen, bekommt ein Passwort zugeteilt und muss furchtbar viel klicken, bis man was zu sehen bekommt, aber immerhin...
2. Konkurrenzblätter
Die Zeitungsverlags-Konkurrenz hat zunächst mit Offerten- und Anzeigenblättern die Nichen besetzt und ist von dort ins Internet gestolpert. Ihre Auftritte sind eher bescheiden. Beispiele: der Online-Dienst des Anzeigenblatts Sperrmüll.
3. Externe
Leute, die mit Zeitungen überhaupt nichts zu tun haben, sind ebenfalls im Markt. So gibt es z.B. schon seit Anfang 1997 die Anzeigenbörse.de in Ibbenbühren. Ernster zu nehmen sind allerdings Initiativen wie eine gemeinsame Aktion der Deutschen Bank mit Maklern im Immobiliensektor oder eine vergleichbare Initiative der Dekra im Automobilbereich. Hier gibt es bereits nützliche Angebote wie die Gebrauchtwagendatenbank 1. Viele weitere Beispiele unterschiedlicher Qualität lassen sich nennen. Sie reichen von www.anz.de, wo man lange rumklicken muß und dann doch nichts findet bis zu Vereinen mit über einer Million Anzeigen und über 100.000 Visits pro Monat wie angeblich IQAnzeigen 1. Weitere Vertreter dieser Zunft sind Webmarkt, Annonce Online, Zweite Hand (Achtung! Suchen kostet Geld!) und Kleinanzeigen, Anzeigenschleuder und die Fairtrade Partnerbörse des Altrop-Verlags mit ihrem Server Oneworld.de, der kostenlos die Nutzung von Gestaltungssoftware für die Gegenleistung eines Links zu den Oneworld-Programmen bietet.
Eine große Gruppe von Anzeigendiensten überwiegend außerhalb des Zeitungs- und Zeitschriftengeschäfts bieten derzeit rund 120 verschiedene Jobbörsen. Die bekanntesten neben dem Arbeitsamt sind Job&Adverts, Karriere Direkt, der Online Stellenmarkt Deutschland, Job-Pool, Business-Channel und Careernet.
Nicht zu vergessen auch der Immobilienmarkt: Einen guten Start bietet www.wohnungsmarkt.de mit guter Navigation, aber auch das Hamburger Abenblatt oder die Süddeutsche Zeitung sind bereits ergiebige Quellen. Den Mietspiegel checken kann man dann anschließend bei www.wowi.de oder dem Mieterbund.
4. Pool-Zusammenschlüsse
Vor allem kleinere Zeitungsverlage schliessen sich zu Pools zusammen. Dabei scheint eher das Ziel, für Branchenfremde die Markteintrittsschwelle möglichst hoch anzusetzen, ziemlich weit im Vordergrund stehen; weniger ist dabei erkennbar, wie der Startvorteil, dass halt viele Leute mit einer Anzeige sich am ehesten an ihre Zeitung wenden, besser genutzt werden kann. In Pipeline.de haben sich zwei Dutzend überwiegend kleinere Tageszeitungsverlage zusammengeschlossen. Zet.Net ist eine vergleichbare Initiative in Bayern, Start Oktober 1998. Der Dienst Avocado des D-Immo-Anzeigenunternehmens versucht ähnliches von Berlin aus und bietet den Verlagen darüber hinausgehende Dienstleistungen wie das Aufbereiten gestalteter Anzeigen für die Web-Fähigkeit. Man betreibt eine Art Eingreiftruppe, die bei besonders anzeigenstarken Wochenenden in drei Schichten rund um die Uhr das Anzeigenmaterial internetfähig machen soll.
Die Parole fürs Geschäft heißt derzeit Nulltarif. Das Lesen der Anzeigen ist kostenlos, meist ebenfalls das Aufgeben privater Kleinanzeigen. Zum Leidwesen der inkassoverwöhnten Zeitungsverlage gilt das Prinzip, daß print online mitfinanzieren muß. Das ist den Zeitungsverlagen ein Dorn im Auge:
Einige Verlage versuchten es mit der Idee, pro Kleinanzeige, die auch online geschaltet werden soll, eine Sondergebühr (Größenordnung 5 DM) zu erheben. Die Resonanz auf die Online-Aufschläge war so gering, daß die meisten es aufgegeben haben. Die branchenfremde Konkurrenz wie z.B. Auto-by-tel, Carpoint oder Autoweb verlangt eben kein Geld - das hat Maßstäbe gesetzt.
Die neuen Hoffnungen, doch noch an etwas Geld zu kommen, richten sich auf die elektronischen Verfahren des electronic Cash für das Inkasso von Kleinstbeträgen. Wie denkfern zum Internet sich die ehrenwerten Verlagsmanagements befinden, zeigen Hoffnungen wie diese:
"Ich bin von Micropayments überzeugt. Wir planen das schon ein". Der Bereichsleiter Marketing und neue Märkte bei RP Online, dem Web-Auftritt der Rheinischen Post in Düsseldorf, kann sich gut ein variables Preismodell je nach Aktualität gerade für die großen und begehrten Annoncenteile des Wochenendes vorstellen. "Interessant ist, daß wir die Preisstruktur steuern können. Wenn Sie am Freitagabend online in die Anzeigen schauen, dann wird es sicherlich mehr kosten, als wenn Sie es erst am Montagmorgen tun".
Quelle: Online-Anzeigenmärkte, in Global Online Nr. 8/1998, S. 49.
Na denn wünschen wir gute Geschäfte ....
Weite Entfernung zum e-Commerce signalisieren auch Praktiken wie die folgende: Beim Aufgeben einer Anzeige kann man die Online-Ausgabe keineswegs per Mausklick bekommen. Man muß sich eine Codenummer merken und dann über eine teure 0190-Nummer anrufen oder die Rückmeldung auf eine Chiffre-Anzeige per Brief vornehmen. Dabei kühlt Der Heisse Draht dann merklich ab.
P.S. Warum das mit dem Geld kassieren im Internet nicht so einfach ist, läßt sich nicht in zwei Sätzen sagen. Wer sich für diese Zusammenhänge interessiert, dem empfehlen wir unsere Seite über die im Informationszeitalter veränderte Arbeitskultur.
Karl Schmitz, 27. September 1998