Tom Peters

Der Innovationskreis

 

Der unerträgliche Sündenfall des "heiligen Tom"

HANDELSBLATT, Donnerstag, 21.5.98

Der Hohepriester des Managements legt sein neuestes Werk vor: Nur ein Jahr nach der englischen Originalausgabe hat der Econ-Verlag die Buchhandlungen mit dem "Innovationskreis" von Tom Peters eingedeckt. Was hat uns der Autor der Busineß-Bibel "In Search of Excellence" zu bieten?

Tom Peters verbringt den größeren Teil seines Lebens im Flugzeug. Vielleicht liegt es daran. Wir normal Sterblichen jedenfalls sind nach Langstreckenflügen gereizt wie unsere Schleimhäute, möchten schlafen und können nicht, müssen arbeiten und wollen nicht, und haben Mühe, uns nach dem Höhenflug im Durcheinandertal wieder zurechtzufinden (das gleichnamige Buch von Dürrenmatt hat übrigens weniger Seiten als "Der Innovationskreis", lohnt sich jedoch zu lesen).

Tom Peters fliegt also meistens von Seminar zu Seminar, in den letzten fünf Jahren waren es nach eigenen Angaben 400 in 47 US-Bundesstaaten und 22 Ländern der Welt. Dazwischen hat er sein Buch 70mal überarbeitet. "Ich bin damit zufrieden ... jedenfalls vorläufig", sagt er im Vorwort.

Wäre er selber unglücklich gewesen mit "Der Innovationskreis", wir hätten uns die Lektüre von 519 Seiten erspart. So können wir erst nach vielen Stunden sagen, ob auch wir zufrieden sind. Um es vorwegzunehmen: Ich bin's nicht.

Doktor der Stanford University, Partner von McKinsey, frenetisch applaudierter Referent, Hoherpriester des Managements: Wie kommt ein Journalist dazu, ein Werk dieses Übermenschen ganz einfach schlecht zu finden? Die Antwort ist ebenso einfach: Er hat es gelesen, von A bis Z, und dürfte damit ein Ausnahmefall sein.

Schon die Sprache ist kaum auszuhalten: Eine üble Mixtur aus Sitcom, Oberhead-Folien und Mittelschul-Slang. "Wow!" ist Peter's Lieblingsvokabel, "die große Idee" der meistgenannten Begriff. Damit ihn ja niemand verpaßt, schreibt ihn Tom Peters in einer Art Stakkato: DIE G-R-O-S-S-E IDEE. Auch "Geschäftsmann" wollte er auf diese Weise gedruckt haben, auch "interessant", auch "heiß" oder "liquidieren".

Was nicht versal, gepunktet, fett gedruckt des Lesers Aufmerksamkeit fangen soll, ist unterstrichen, mit Ausrufezeichen hervorgehoben, kursiv - ein Spiel im Setzkasten. Altmodische Menschen haben einmal gelernt, ein treffend gewähltes Wort spreche für sich und brauche keinerlei Auszeichnung. Tom Peters ist nicht altmodisch.

Nun sind uns typografische Kindereien aus Lifestyle- und Computermagazinen durchaus vertraut und keinen Adrenalinschub wert. Vorausgesetzt: Der Inhalt ist lesenswert, gibt Anregung. Aber nichts dergleichen. Statt dessen rege ich mich auf. Warum muß ich Sprüche lesen wie diesen: "Die große Idee: Professionelle Dienstleistung & Co. große Idee: Verwandeln Sie Ihre Abteilung ... Jetzt ... in das Unternehmen Einkauf (usw.) Große Idee: Einkauf & Co. (usw.) = wow & Co." (S.220).

Erinnern wir uns an den Schulunterricht und stellen wir uns die Frage: Was will uns der Autor damit sagen. Wir raten: Dienstleistungen sollen professionell werden. Abteilungen gehören geführt wie ein Unternehmen, Mitarbeiter sollen darüber in Begeisterung ausbrechen (wow, wow, hurrraaaaa!). Das ist so neu nicht, das ist sogar ein alter Hut und wahrscheinlich auch im Leitbild von Dümmlinger & Co. aus Pfupferswil nachzulesen.

Leider handelt es sich beim allzu ausführlich zitierten Beispiel nicht um einen einmaligen Sündenfall des "heiligen Tom". Man könnte einen Spruch nach dem anderen aufreihen wie die Witze am Stammtisch nach dem Motto: Kennst Du den? Ja, kennen Sie den: "Die große Idee: Ein Produkt muß nicht zwangsläufig zur Massenware werden. Große Idee: Qualität = Güte (+Unterhaltung) (+Spaß)"? Oder den: "Üben Sie die Problemlösungen. Üben Sie die Implementierung."

Zugegeben, auch Banalitäten wie diese sind noch nicht in jedem Unternehmen selbstverständlich. Aber daran wird Tom Peters kaum etwas ändern.

Erst läppisch, dann ärgerlich: "Die große Idee: Frauen sind die Chance Nr. 1. Große Idee: Dies ist eine großartige Idee." Daß Frauen als Kunden unterschätzt werden, daß ihr Potential viel zu wenig genutzt wird, daß sich Männer wuchtig an den Frauen vorbei-ellbögeln - das alles stimmt. Und das Rezept dagegen?

"Denken Sie an Frauen. Den Frauen gehört die Welt. Denken Sie an die Unterschiede. Chance Nr. 1. Frauen und Autos. Frauen als Amazonen der Landstraße. Frauen als ... Nur mit Neuerfindungen funktioniert es. Du kannst es einfach nicht verstehen."

Soweit Tom Peters. Und so weiter: "Katy, verrammle die Tür! Diese erstklassige Differenzierungsstrategie ist der größte Renner aller Zeiten! Die Frage lautet: Wie komme ich an die kollektive/enorme/mißverstandene/unterschätzte Kaufkraft der Frauen? Problem: Sie müssen Ihr Unternehmen komplett auf den Kopf stellen, um diese (erstaunliche/wahnsinnige) Chance zu Ihrem Vorteil nutzen zu können, diese Chance Nr. 1."

Wäre Tom Peters Autor von Koch- statt Managementbüchern, sein Ratschlag gegen auslaufendes Eigelb in Spiegeleiern würde sich wohl ähnlich lesen: "Große Idee: Alles anders machen als bisher. Die Frage lautet: Wie behalte ich das Eigelb in der Mitte? Problem: Sie müssen alles anders machen, um diese wahnsinnige Chance zu Ihrem Vorteil nutzen zu können." Wow!

Warum, fragen wir uns, mühen sich Legionen von Wissenschaftlern ab, Gründe für die Benachteiligung von Frauen zu finden, warum tun selbst forschrittliche Unternehmen sich so schwer, die Ungerechtigkeiten zu beseitigen, wenn doch alles so einfach ist? Ist es eben nicht. Nur: Tom Peters macht alles einfach. Verpackt die Probleme der Welt in Comicsprüche. Und ist damit auch noch zufrieden.

In seinem Vorwert lesen wir: "Business - erfolgreiches Business - ist eher eine Sache des Gefühls statt des Verstands." Aha. Gefühle schwinden offenbar nicht auf Langstreckenflügen.

Ruedi Arnold

Tom Peters: Der Innovationskreis. Econ Verlag, Düsseldorf, 1998