Karl Schmitz:
Wieviel Aufwand darf die Regelung des SAP-Systems die Arbeitnehmer-Interessenvertretung kosten?
Die SAP-Dokumentations-CD umfasst über 500 MB, die Systembeschreibung füllt ganze Regale, die Einführung des Systems beschäftigt meist Dutzende von Führungskräften nicht selten über mehrere Jahre hinweg.Dieses Geschäft ist so komplex, dass es keine Firma mehr gibt, die den Einführungsprozess aus eigener Kraft schafft. Die Folge ist ein blühendes Beratergeschäft, welches noch angeheizt wird durch die Jahr-2000-Problematik und EURO-Umstellung.
Auch auf der Betriebsrats- bzw. Personalratsseite hat sich ein beachtliches Beratergeschäft etabliert. Nicht nur gewerkschaftliche Technologieberatungsstellen, sondern viele gewerkschaftsunabhängig agierende Institutionen raten den Betriebs- und Personalräten, sich ausführlich in die SAP-Einführungsprojekte einzuklinken. Will man aus eigener Kraft das System durchschauen, so hätte man sich tatsächlich mit wochenlangen Schulungsprogrammen und am besten gleich mit speziellen zusätzlichen Freistellungen mehrerer Mitglieder des Gremiums zu befassen.
Meiner Meinung nach lohnt das System auch nicht annähernd solchen Aufwand. Was ein Betriebsrat erreichen kann, das kann er billiger haben. Angeblich soll man Intelligenz daran messen können, inwieweit jemand einen möglichst großen Erfolg mit möglichst wenig Aufwand erreichen kann. Hier die wichtigsten Gründe, warum ein hoher Arbeitsaufwand verlorene Mühe ist:
SAP ist das integrierte Anwendungssystem mit der breitesten Funktionalität, das es heute zu kaufen gibt. Man ist oft wesentlich länger damit beschäftigt, zu entscheiden, was man nicht haben will. Man muss sich in viele Sachfragen einarbeiten, die betrtiebsverfassungsrechtliche Regelungserfordernisse nicht oder nur ganz am Rande berühren. Deshalb sollte man sich, ganz im Sinne von § 76 Abs. 5 BetrVG, an den durch den Systemeinsatz berührten Belangen der Beschäftigten orientieren. Also ist zu fragen, was haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu befürchten. Hier haben wir drei, vielleicht vier Hauptthemen:
- Angst vor Arbeitspaltzabbau durch Rationalisierung
SAP ist immer verbunden mit einem Redesign der Geschäftsprozesse und folglich auch der Arbeitsabläufe. Und das Motiv für Redesign ist in der Tat meistens die arbeitsplatzeinsparende Rationalisierung. Ich habe wiederholt behauptet, dass das SAP-Redesign kaum einmal ein wirkliches Überdenken der Geschäftsprozesse ist, sondern eine Anpassung des Betriebs an das von SAP mitgelieferte Unternehmensmodell. Und dieses ist aufgeblasen, mächtig, vollgestopft mit Funktionalitäten, die - frei nach dem Kartoffeltheorem ("Jetzt sind die Kartoffeln da, dann müssen sie auch gegessen werden") - den anwendenden Betrieb dazu verleitet, die vielen schönen eingekauften Sachen auch tatsächlich zu machen. Dies wird begünstigt durch die SAP-Lizenzpolitik: Man bekommt alles, das ganze System, und bezahlt wird nach Anzahl der Endbenutzer, nicht nach Anzahl der genutzten Programmfunktionen. Der langen Rede kurzer Sinn: In der Regel werden Arbeitsabläufe aufgebläht und haben oft mehr Overhead als früher. Außerdem wecken die vielen neuen Möglichkeiten auch neue Begehrlichkeiten, und es wird einfach mehr gemacht als früher.
Natürlich kann man durch entsprechendes Redesign Arbeitsplätze einsparen. Ob die Es-wird-gespart-koste-es-was-es-wolle-Politik sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Wenn aber Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, so erfolgt das bestimmt nicht wegen SAP. Meistens ist die Folge, dass man mehr Leute braucht oder - öfter - die vorhandenen Leute mehr Arbeit leisten müssen.
Die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze können sich allerdings in Zukunft ändern. Dies hat aber in erster Linie nichts mit SAP zu tun, sondern mit der wachsenden Durchdringung mit Internet-Techniken, speziell den business-to-business-Verbindungen der Anwendungssysteme verschiedener Firmen. Beispiel: Ein Unternehmen verbindet sein SAP-System direkt mit dem System des Zulieferers, der bestimmte Lagerbestände seines Kunden im Rahmen eines vertraglichen Limits zu betreuen hat, also selber die Bestände überwacht und Nachlieferungen veranlasst. Dadurch brauchen keine Bestellungen mehr geschrieben und auf der anderen Seite in ein anderes System eingegeben werden. Rationalisierungsgefährdet sind alle Tätigkeiten, die sich mit dem mehrfachen oder wiederholten Eingeben und Bearbeiten von bereits vorhandenen Informationen beschäftigen. Dies ist nichts SAP-Spezifisches (im Gegenteil, SAP hat die Internet-Welle ja wie weiland Bill Gates von Microsoft regelrecht verschlafen, musste sich von anderen Softwarefirmen auf die Sprünge helfen lassen und befindet sich zur Zeit in einer eher halbherzigen Aufholjagd).
- Negative Auswirkungen auf die Arbeitsqualität
In der Tat, hier gibt es Regelungsbedarf. Alles ist neu gegenüber früher und muss neu gelernt werden. Auch SAP rät seiner Kundschaft, um Himmels willen nicht an der Qualifizierung der Mitarbeiter zu sparen. Das ehrt die Walldorfer Firma und sollte von den Betriebsräten nachhaltig unterstützt werden. Denn ohne ausreichende Qualifizierung ist die Arbeit dauerhafter Stress, ewige Angst davor, Fehler zu machen (die im Gegensatz zu früher jeder merkt). SAP begünstigt die ganzheitliche Sachbearbeitung (wie jedes heute auf dem Markt erhältliche integrierte Anwendungssystem); auch hier sollte man darauf achten, dass nicht etwa durch entsprechende Vergabe der Zugriffsrechte übertriebene Spezialisierungen bewirkt werden.
Die Arbeitsabläufe selbst: Da hat es in der Praxis leider wenig Gestaltungsspielraum. Man hat mit dem System dessen zugrundeliegendes Unternehmensmodell und damit auch ein Stück heimlicher Arbeitsorganisation eingekauft. Das Customizing, von SAP für die Anpassung des Systems an den Betrieb vorgesehen, bewirkt in der Regel die Anpassung des Betriebs an das System. Es ist ziemlich kompliziert und wird oft von externen Beratern durchgeführt. Als Betriebsrat beißt man sich förmlich die Zähne aus, wenn man hier was ändern will - äußerst geringe Erfolgsaussichten. Außerdem muss einem ständig eine mehr oder weniger kluge Antwort einfallen, was das denn alles noch mit der Mitbestimmung (Schutz vor Überwachung) zu tun habe.
Viele Arbeitsformen, z.B. Gruppenarbeit in der Fertigung nach Konzepten der teilautonomen Gruppe werden vom System förmlich behindert. Hier hilft nur ein sparsamer Einsatz der angebotenen Leistungsmerkmale.
Alles in allem: die Gestaltungsspielräume sind eher eng. Das Motiv für den Kauf der SAP-Standardsoftware war ja oft der Wille, keine eigene Energie mehr in den Entwurf und die konkrete Ausgestaltung eines computerunterstützten Arbeitssystems hineinzustecken.
- Überwachung von Leistung und Verhalten
Na ja, das Übliche: alles wird mitprotokolliert, jedes Login, jede Transaktion, der Name der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in jedem Buchungs-Datensatz. Dies bedarf der Regelung, erfordert aber keinen besonderen Aufwand.
Anders verhält es sich bei dem Personalsystem Human Resources (HR). Es kommt mit hunderten sogenannter Infotypen daher, in denen man viel zu viel Daten über die Beschäftigten speichern kann. Selbst Adressen werden in historienfähiger Form gespeichert, so dass das Unternehmen immer Auskunft geben kann, was wann mit wem war, ganz wie ein Einwohnermeldeamt. Das ändern zu wollen, hieße Sturm laufen gegen die ganze SAP-Systemarchitektur, also wenig Aussicht auf Erfolg. Es kommt aber noch schlimmer: Jede Bildschirmanzeige kann auch als Excel- oder Word-Datei ausgegeben werden, und damit lassen sich die Daten aus der noch relativ gut schützbaren SAP-Welt auf die PC-Ebene verschleppen, wo es bekanntlich mit dem Schutz ziemlich hapert. Hier muss man sich etwas einfallen lassen, und ausgerechnet hier ist die Firma SAP nicht sehr hilfreich.
- Ergonomie und Gesundheitsschutz
Arbeit mit SAP ist Bildschirmarbeit, und deren Anteil an der täglichen Arbeitszeit wird immer größer. Dies ist aber keine SAP-spezifische Angelegenheit, denn die Durchdringung der Arbeitswelt mit Computern hat noch immer nicht ihren Sättigungspunkt erreicht.