Die Zeiten werden grau. Die bunte Vielfalt im Zoo der Computeranwendungen ist dabei, zu verschwinden. Gestaltunsmöglichkeiten für die computerunterstützte Arbeit werden eng. Die fast vergessenen Untugenden der Old Economy sind wieder da. Kein Phönix aus der Asche
Anfang der Neuziger Jahre, als in größerem Umfang PCs Einzug in den Unternehmen hielten, feierte man beredt einen Paradigmen-Wechsel: Computer als Wekzeug statt Maschine. Die Neue Freiheit für das Individuum war endlich auch in den Betrieben angekommen. SAP machte seinen großen Sprung nach vorne: sie waren die Ersten, die ein komplettes Unternehmens-Softwaresystem unter den neuen Windows anboten - und konnten sich vor Erfolg schier nicht retten.
Der heftige Internet-Boom beflügelte weiter die Phantasien. Ein neues Zeitalter schien angebrochen. New Economy ließ altgediente Unternehmen buchstäblich alt aussehen. Knappe zwei Jahre währte der Höhenflug. Nach der Jahrtausendwende war nur noch Katzenjammer angesagt. Darüber muss nichts mehr geschrieben werden, es wurde auf Zigtausenden Seiten bejammert oder schadenfroh konstatiert, je nach Standpunkt. Kein Phönix wurde aus der Asche geboren - schlimmer noch, das alte Imperium hat zurückgeschlagen.
Pfiffige Firmen mit v.a. an der Internet-Technik orientierten neuen Software-Lösungen gerieten gleich mit in den Abwärts-Strudel. Kriegsgewinnler wurden die etablierten Anbieter, allen voran SAP. Customer Relashopship-Management, e-Commerce-Anwendungen, sebst Intranet-Portale: man kauft lieber bei denen ein, die man schon kennt. Siebel, i2, Intershop und viele kleinere Firmen haben das Nachsehen.
Schlimmer noch: Unterdessen schlucken die Etablierten die Kleinen, die sich mit vielversprechenden neuen Produkten hervortaten. SAP zum Beispiel kauft die israelische Firma Top Manage, um demnächst dem Mittelstand etwas weniger Mächtiges als das bisherige eigene Produkt andrehen zu können. Vorher hat man sich mit TopTier bereits eine Firma einverleibt, mit deren Produkten man dicke Punkte bei der verschlafenen Internet-Entwicklung zurückerobern konnte. Frischzellen-Therapie auf ganzer Linie, Innovation nur noch durch Zukauf anderer Firmen. 6000 Entwickler in Walldorf, Kalifornien und Indien - fällt denen nichts mehr ein?
Auch die Konkurrenz schläft nicht. Bereits vor Jahresfrist hat sich Microsoft mit Great Plains eine Firma einverleibt, die Buchhaltungs-Software vermarktet. Doch das war Amerika, hier zu Lande gab sich kaum jemand beunruhigt. Seit Mai allerdings ist Schluss mit Ruhig. Über 1.3 Milliarden Dollar ließ sich Microsoft den Kauf der dänischen Firma Navision kosten. Diese Firma - gerne auch als das SAP des Mittelstandes bezeichnet - verfügt in Europa über 60.000 Kunden. Und das ist eine ernstzunehmende Startbasis. Microsoft wolle sich im Mittelstands- und Speziallösungsbereich, vor allem bei speziellen Business-Anwendungen wie CRM, ERP und SCM, stärker engagieren, heißt es lapidar aus Redmont. Das Kalkül ist klar: Der Mittelstand muss sein Geld zusammenhalten und kriegt die Krise, wenn er die SAP-Preise hört oder von den Heerscharen von in die Betriebe einfallenden Beratern erfährt. Windows aber haben sie alle. Wenn nun derselbe Hersteller .... Den Satz braucht man nicht weiter zu schreiben. Es wird heftig in den nächsten Jahren, der Wind wird richtig rauh.
Und die Welt wird eintöniger. Entscheidender aber ist, was hinter den Kulissen der augenfälligen Firmenkonzentrationen geschieht. Das betrifft den Charakter der Software und die Strategien der Unternehmnen, wie mit der Software umgegengen wird.
So gut wie nichts ist geblieben von jenem viel gepriesenen Paradigmenwechsel, den die Verbreitung der PCs versprach. Schaut man sich die großen Anwendungen an, so verblüffen die wieder vorfindbaren Ähnlichkeiten mit der Großrechnerwelt der Achtziger und frühen Neunziger Jahre. Das Ganze von damals kommt natürlich jetzt in bunten Fensterchen und mit anklickbaren Reitern daher, ein bisschen Fortschritt darf sein. Aber statt sich zum Beispiel über enjoySAP zu freuen, fragen die Anwender, jedenfalls diejenigen, die ständig mit dem Zeug arbeiten müssen, ob man nicht die alten Masken wiederhaben kann.
Die Anwendungen werden vollgestopft mit Workflows. Im Customizing der Systeme fallen die Entscheidungen, wie gearbeitet werden darf bzw. muss. Employee Self Services heißt ein neues Zauberwort. Doch mit der "Selbstbedienung am Arbeitsplatz" ist es nicht weit her. Alles ist penibel festgelegt, z.B. wohin der online eingegebene Urlaubstantrag vom System befördert wird und wie er weiter behandelt wird. So wird die Organisation der Arbeit im Workflow des Systems festgezurrt. Änderungen unwahrscheinlich. Das würde Eingriff im Customizingbedeuten, wenn überhaupt. Software ist wieder zur Maschinerie erstarrt. Der Ablauf der Arbeit ist vor-"programmiert".
Verhieß die Neue Welt doch einst eine Umkehr des Musters: Software als Werkzeug würde es den Leuten erlaubt haben, die Organisation ihrer Arbeit jenseits der Computerprogramme zu bewältigen. Vorbei der Traum. Das Sagen haben die Use-Case-Spezialisten, die jede Arbeit in kleinste Stücke zerlegen und aus ihr einen minuziös geplanten "Prozess" machen. Die Fortgeschritteneren unter ihnen haben sogar den Prozessverbesserungsprozess voll im Griff. Einen Betrieb von innen gesehen haben sie - meistens - nicht, macht aber nix.
In der Tat, alles wird wieder ähnlicher: Das Erscheinungsbild der Software, die vorgenormten Arbeitsabläufe, selbst die Geschäftsprozesse. Wie sich Unternehmen noch im Wettbewerb unterscheiden wollen, wenn alle mit den gleichen gestreamlineten Geschäftsprozessen daherkommen, bleibt ihr Geheimnis. Größere Firmen, die schon alles von ihrer Softwareschmiede haben, was kann man denen eigentlich noch verkaufen? Ein Data Warehouse vielleicht? Nein, besser etwas, das mehr Sturm im Wasserglas entfacht: ein Skill Management zum Beispiel.
Nun endlich schließt sich der Kreis.