Schlag auf Schlag

März 2008: Die dritte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung

Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung teilweise gestoppt. Demnach darf der Staat auf Vorrat gespeicherte Verbindungsdaten vorerst nur zur Verfolgung schwerer Straftaten nutzen. Die Richter gaben damit einem Eilantrag von Zehntausenden Bürgern teilweise statt. Die Speicherung der Daten bleibt allerdings vorerst erlaubt. Denn noch nicht das Speichern selbst, sondern erst der Abruf der Daten sei ein Eingriff in die Freiheit der Bürger, heißt es in der einstweiligen Anordnung.

Die gestoppten gesetzlichen Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung  

§113a (1) Wer öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste für Endnutzer erbringt, ist verpflichtet, von ihm bei der Nutzung seines Dienstes erzeugte oder verarbeitete Verkehrsdaten ... sechs Monate ... zu speichern.

Bei den Telefondiensten haben die Anbieter die betroffenen Telefonnummern, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung sowie eine Kennung des genutzten Dienstes zu speichern. Bei der Mobiltelefonie kommen noch die Funkzelle und Antennenausrichtung dazu. Für die Mail sind die Kennungen von Empfänger und Absender sowie die IP-Adressen der beteiligten Rechner sowie Datum und Zeitpunkt zu speichern. Ähnlich sind für die Internet-Zugänge die IP-Adresse des Anforderers und Kennung des Anschlusses, von dem die Anforderung ausging sowie Datum und Uhrzeit festzuhalten, seltsamerweise nicht die Kennung der angeforderten Seite.

§ 113b sollte in sehr weit gefasster Form die Verwendung dieser Daten und die Übermittlung an die zuständigen Stellen fest legen:

  • zur Verfolgung von (jedweden) Straftaten,
  • zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder
  • zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes.

Die Entscheidung des Gerichts

§ 113b Satz 1 Nummer 1 des Telekommunikationsgesetzes ... darf bis zur Entscheidung in der Hauptsache nur bei schweren Straftaten ange wendet werden.

Genauer: Aufgrund eines Abrufersuchens einer Strafverfolgungsbehörde nach § 100g Absatz 1 der Strafprozessordnung, das sich auf allein nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes gespeicherte Telekommunikations-Verkehrsdaten bezieht, hat der durch das Abrufersuchen verpflichtete Anbieter von Telekommunikationsdiensten die verlangten Daten zu erheben. Sie sind jedoch nur dann an die ersuchende Behörde zu übermitteln, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gemäß der Anordnung des Abrufs eine Katalogtat im Sinne des § 100a Absatz 2 der Strafprozessordnung ist und die Voraussetzungen des § 100a Absatz 1 der Strafprozessordnung vorliegen. In den übrigen Fällen des § 100g Absatz 1 der Strafprozessordnung ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen. Der Diensteanbieter hat die Daten zu speichern. Er darf die Daten nicht verwenden und hat sicherzustellen, dass Dritte nicht auf sie zugreifen können.

Aus der Begründung

Das Gericht hatte den grundgesetzlichen Schutz der Persönlichkeitsrechte und des Fernmeldegeheimnisses gegen die staatlichen Interessen an einer effektiven Strafverfolgung abzuwägen. Es hielt die Bedenken gegen den Grundrechtseingriff für so schwerwiegend, dass  - bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache - die Verwendung der Daten stark eingeschränkt wurde. Auszüge aus der Begründung:

  • Die sechs Monate andauernde Möglichkeit des Zugriffs auf sämtliche durch eine Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten entstandenen Verkehrsdaten bedeutet eine erhebliche Gefährdung des in Art. 10 Abs. 1 GG verankerten Persönlichkeitsschutzes. .... Dieses Risiko konkretisiert sich im einzelnen Abruf, weist jedoch angesichts der flächendeckenden Erfassung des Telekommunikationsverhaltens der Bevölkerung weit über den Einzelfall hinaus und droht, die Unbefangenheit des Kommunikationsaustauschs und das Vertrauen in den Schutz der Unzugänglichkeit der Telekommunikationsanlagen insgesamt zu erschüttern.
  • In dem Verkehrsdatenabruf selbst liegt ein schwerwiegender und nicht mehr rückgänngig zu machender Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG. Ein solcher Datenabruf ermöglicht es, weitreichende Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte des Betroffenen zu erlangen, gegebenenfalls sogar begrenzte Rückschlüsse auf die Gesprächsinhalte zu ziehen. Zudem weist ein Verkehrsdatenabruf eine erhebliche Streubreite auf, da er neben der Zielperson des Auskunftsersuchens notwendigerweise deren Kommunikationspartner erfasst, also vielfach Personen, die in keiner Beziehung zu dem Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben.
  • Weiter werden in vielen Fällen die durch den Verkehrsdatenabruf erlangten Erkenntnisse die Grundlage für weitere Ermittlungsmaßnahmen bilden, die ohne diese Erkenntnisse nicht durchgeführt worden wären. Solche Ermittlungsmaßnahmen, beispielsweise Wohnungsdurchsuchungen oder Überwachungen der Telekommunikation, können ihrerseits den Betroffenen erheblich belasten, ohne dass es darauf ankommt, ob sie den gegen ihn bestehenden Verdacht einer strafbaren Handlung erhärten oder widerlegen. Auch die darin liegenden Nachteile können im Anschluss an die Ermittlungsmaßnahme nicht mehr behoben werden.