Rahmenbetriebsvereinbarung Künstliche Intelligenz

Immer noch ist Künstliche Intelligenz das Werbe-Highlight der Softwareanbieter. Überall ist KI drin, glaubt man deren Marketingabteilungen. Immense Rationalisierunggewinne werden versprochen, die Arbeit werde sich grundlegend verändern. Den Betriebsräten bleibt nicht erspart, sich mit dem Thema zu befassen. Im Folgenden ein Regelungsvorschlag, der sich auf die wichtigsten Punkte konzentriert.

Vorbereitend sollten die Betriebsräte mit ihren Arbeitgebern klären, was das Unternehmen mit KI vorhat. Es gibt die unterschiedlichsten Varianten, hier die zwei Extreme:

  • Abwarten und beobachten. Ein bisschen mitmachen, ohne allzu großen Aufwand, z.B. durch kleinere Projekte, die den Standardageboten der Softwarehersteller folgen (z.B. Microsoft Copilot)
  • Einige Firmen führen gezielte Projekte durch, vor allem in der Produktion. Diese lassen sich konkret benennen.


Präambel
  Unternehmen und Betriebsrat teilen die Auffassung, dass mit der Künstlichen Intelligenz sowohl große Chancen für die Arbeitsqualität und Produktivität als auch Risiken für den Arbeitskräfteeinsatz verbunden sind. Mit dieser Vereinbarung verfolgen beide Seiten die Absicht, die Chancen zu nutzen und die Risiken zu vermeiden.
Gegenstand und Geltungsbereich
 

Diese Betriebsvereinbarung legt als Rahmenregelung

  • Grundsätze für die Planung, den Einsatz und die Weiterentwicklung von Systemen der Künstlichen Intelligenz in den Betrieben des Unternehmens,
  • die Beteiligung des Betriebsrats an diesem Prozess und
  • die Qualifizierung der Mitarbeitenden
fest.
Zielsetzung
 

Unternehmen und Betriebsrat sind sich einig, die Technik nur dort einzusetzen, wo sie einen erkennbaren Fortschritt für die Produktivität und die Verbesserung der Arbeitsqualität bringt und die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verletzt oder einschränkt.

Grundsätze für den Einsatz Künstlicher Intelligenz
 

Beide Seiten stimmen darin überein, dass bei jedem KI-Einsatz die Beachtung der Persönlichkeitsrechte ein unabdingbarer Grundsatz ist und werden deshalb die im Abschnitt Verzichtserklärungen genannten Einschränkungen streng beachten. Die Technik wird nicht zum erklärten Zweck der Überwachung von Leistung oder Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt.

Es gelten folgende Regelungen:

  • Werkzeugcharakter: KI-Systeme werden in Arbeitssystemen mit menschlicher Arbeit nicht als Ersatz von Arbeit, sondern als Werkzeuge zur Unterstützung der Arbeit eingesetzt.
  • Automatisierung technischer Abläufe: Soweit einzelne Arbeitsschritte durch den Einsatz von KI-Techniken ersetzt werden, wird darauf geachtet, dass das betroffene Arbeitssystem die menschliche Arbeit nicht auf Zuarbeiten für die technisierten Arbeitsabläufe reduziert oder in zeitlich gebundene Abhängigkeit von den automatisierten Arbeiten bringt. Ist dies der Fall, so wird die Automatisierung zurückgestellt, bis eine Vollautomatisierung des entsprechenden Arbeitssystems möglich ist. Für alle automatisierten Arbeitssysteme wird eine Supervisionsfunktion geschaffen, die von Menschen wahrgenommen wird.
  • Keine Automatisierung von Entscheidungsprozessen: Die Leistung von KI-Systemen bleibt auf Hilfestellungen insbesondere im Bereich der Verfügbarmachung von Informationen begrenzt. In der Grauzone von nicht vollautomatisierten Prozessen mit hohem Routinecharakter bedürfen Vorschläge der Systeme vor ihrer Ausführung immer einer ausdrücklichen Bestätigung durch die mit der Aufgabe betrauten Personen. In den Fällen, in denen KI-Systeme Vorschläge für Entscheidungen anbieten, wird ebenfalls die Möglichkeit frei wählbarer Alternativen eingerichtet.
  • Achtung der Persönlichkeitsrechte: Beide Seiten stimmen darin überein, dass bei jedem KI-Einsatz die Beachtung der Persönlichkeitsrechte ein unabdingbarer Grundsatz ist und vereinbaren deshalb den Verzicht auf folgende Leistungsmerkmale in Systemen bzw. Programmen:

    • Verwendung von biometrischen Beschäftigtendaten (Fingerabdrücke, Gesichts-, Augen-, Stimm- oder Körperhaltungs-Daten) in Anwendungssystemen. Ausnahmen gelten nur für den alleinigen Zweck der Identifizierung im Rahmen der Berechtigung (Login) zu einer Anwendung oder einem Gerät.
    • Emotionserkennung jedweder Art: Es kommen keine Systeme zum Einsatz, die versuchen, die emotionale Befindlichkeit der Beschäftigten zu erfassen oder gar auszuwerten.
    • Automatisierte Leistungsbewertung: Auf die Erfassung von Mitarbeiterdaten zum erklärten Zweck einer automatisierten Leistungs-oder Verhaltensbewertung wird verzichtet. Soweit in anderen Zusammenhängen Daten erfasst werden, die sich objektiv für eine Leistungs- oder Verhaltensbewertung eignen wird auf eine Verwendung dieser Daten zur Leistungs- oder Verhaltensbeschreibung und -bewertung verzichtet.
    • Anlegen und Verwenden von Profilen der Beschäftigten mit detaillierten qualifikations-, charakter- oder verhaltensbeschreibenden Daten.

Abweichungen von den in diesem Abschnitt genannten Grundsätzen bedürfen einer diese Vereinbarung ergänzenden Regelung, die für jeden Einzelfall abzuschließen ist.

Einzelne KI-Anwendungen
 

Die KI-Anwendungen betreffen die allgemeine Infrastruktur, den Einbau von KI-Elementen in Anwendungssysteme, eigene KI-Entwicklungen sowie Pilotprojekte, die solchen Entwicklungen vorausgehen können.

Das Unternehmen richtet eine Online-Dokumentation aller Anwendungen mit integrierten KI-Elementen ein, aus der die folgenden Informationen hervorgehen:

  • Name der Anwendung und kurze Beschreibung des Leistungsumfangs
  • Auflistung der Einsatzbereiche innerhalb des Unternehmens
  • Kontaktdaten einer Ansprechperson für nähere Auskünfte
  • Datum der Inbetriebnahme des Echtbetriebs

Die Dokumentation wird auf dem aktuellen Stand gehalten und steht dem Betriebsrat zur Verfügung (via Einrichtung eines Zugriffsrechts).

Alternativ zu einer Online-Dokumentation bietet sich auch an, die Systeme in einer Anlage zu dieser Betriebsvereinbarung aufzulisten.

Geplante umfangreichere Anwendungen können in Pilotversuchen erprobt werden. Das Verfahren richtet sich nach den mit dem Betriebsrat vereinbarten Beteiligungsregeln.

Information und Qualifizierung der Belegschaft
 

Viele Beschäftigte empfinden zurzeit eine große Verunsicherung. Es sind nicht nur die beunruhigenden Nachrichten über zu befürchtende Folgen der Künstlichen Intelligenz, die den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze und den Niedergang ganzer Branchen signalisieren. Es sind auch das von vielen Menschen als zu schnell empfundene Tempo der Veränderungen, die Verdichtung der Arbeit und der in vielen Tätigkeitsfeldern bisher nicht dagewesene Zeitdruck, das Hetzen von einem Termin, einer Besprechung in die nächste, oft ohne Pausen, ohne Herunterkommen und sich neu besinnen können.

Vor dem Hintergrund des hohen Änderungstempos der Technik hat eine gründliche Information und Qualifizierung der Beschäftigten einen besonderen Stellenwert.

Die Beschäftigten sollen einen realistischen Eindruck über Leistungen und Grenzen der KI-Technik erhalten und lernen, wie die Technik sinnvoll im Arbeitsleben genutzt werden kann. Insbesondere geht es darum, klarzustellen, dass die Systeme über keine eigene Wahrnehmung, kein eigenes Denken und eigenes Bewusstsein verfügen und nur Hilfsmittel für Menschen sind, die sie als Werkzeuge für ihre Arbeit nutzen können.

Information der Belegschaft
 

Das Unternehmen wird die Belegschaft über die Leistungen und Grenzen der KI-Technik und deren geplanten Einsatz informieren. Dazu werden folgende Maßnahmen durchgeführt:

  • Veranstaltungen mit Darstellung der Funktionsweise der Technik und den aktuellen Einsatzplänen des Unternehmens.
  • Vorstellung einzelner Projekte über den Einsatz spezieller Techniken oder Systeme (z.B. Chatbots oder deren Integration in andere Softwaresysteme)
  • Präsentation von Informationen, Bereitstellung von Material zum Selbststudium und Übungsaufgaben zur KI-Technik und aktuellen Projekten im Intranet des Unternehmens
Spezielle Trainings
 

Für die im Einsatz befindlichen Systeme wird allen Beschäftigten, die damit zu tun haben, ein auf ihren Anwendungsbereich zugeschnittenes Training angeboten. In dessen Vordergrund soll der Erwerb eigener Erfahrung im Umgang mit den Systemen stehen. Die Trainings sollen auch ermöglichen, die Grenzen der Leistungsfähigkeit solcher Systeme anhand praktischer Beispiele zu erfahren und den Beschäftigten eine kritische Sicht auf die Ergebnisse vor allem der Generativen Künstlichen Intelligenz vermitteln.

Für die Trainings werden geeignete Beispiele aus dem Arbeitsalltag der Schulungsteilnehmer für praktische Übungen ausgewählt. Die Trainings können in mehrere Folgen unterteilt werden und enthalten Feedback-Runden zu den zwischenzeitlichen Erfahrungen und liefern damit Impulse für Fortsetzungsveranstaltungen.

Wiederholte Trainings werden vor allem dann angeboten, wenn sich die Tecnhiken selber wesentlich verändert haben.

Weiterbildungsangebote
 

Zu speziellen Themen der KI-Technik werden im Rahmen des unternehmensinternen Weiterbildungsprogramms Veranstaltungen in Form von Vorträgen und Workshops angeboten, die sowohl Aspekte der Technik selber als auch ihres möglichen sowie praktizierten Einsatzes im Unternehmen betreffen. Die Teilnahme ist freiwillig und steht allen interssierten Beschäftigten offen.

Unternehmenseigene Kompetenz
 

Um wachsende Abhängigkeiten von den Systemanbietern zu vermeiden ist es wichtig, dass das Unternehmen sich eine eigene Technik-Kompetenz aufbaut und erhält. Dazu werden mit Beschäftigten des Unternehmens eigene KI-Projekte im Rahmen klar definierter Zielsetzungen durchgeführt.

Unternehmen haben zurzeit (Sommer 2024) große Probleme, IT-Spezialisten mit KI-Kenntnissen zu finden. Viele Firmen sehen keine Alternative dazu, sich die Anwendungen „einzukaufen“ und gehen damit wachsende Abhängigkeiten von den Anbietern ein. Um eigene Kompetenz aufzubauen ist es erforderlich, das benötigte know how mit eigenen Mitarbeitenden selbst aufzubauen.

Beteiligung des Betriebsrats
 

Beide Seien betonen ihren ernsthaften Willen, über die Entwicklung der KI-Technik und ihren Einsatz im Unternehmen im Gespräch zu bleiben und verabreden dazu das folgende Verfahren:

Start des Beteiligungsverfahrens
 

Unmittelbar nach Inkrafttreten dieser Vereinbarung treffen sich die Betriebsparteien in einem gemeinsamen Workshop. Dabei stellt die Unternehmensseite den Stand der aus Unternehmenssicht für relevant gehaltenen KI-Technik, bereits realisierte Projekte und Anwendungen sowie die Planung für die nächste Budgetperiode dar. Anschließend findet eine gemeinsame Beratung statt. Dabei werden unter anderem die Auswirkungen der Technik auf

  • Arbeitsplätze und Arbeitskräfteeinsatz,
  • Organisation und Gestaltung der Arbeit und
  • Anforderungen an die Mitarbeiterqualifikation und durchgeführte sowie für erforderlich gehaltene Qualifizierungsmaßnahmen

beraten. Diese Vernstaltung wird in der Regel jährlich sowie auf Wunsch einer Seite wiederholt.

Neue Projekte
 

Vor Einsatz eines Systems mit integrierten KI-Elementen sowie vor Inbetriebnahme neuer KI-Elemente in bereits eingesetzten Softwaresystemen und dem Start eigener KI-Projekte wird der Betriebsrat informiert. Auf seinen Wunsch findet eine Beratung statt.

Alle im Einsatz befindlichen KI-Systeme und -Projekte sind in einer Online-Dokumentation verzeichnet. Alle Betriebsratsmitglieder erhalten Zugriffsrechte für diese Dokumentation.

Initiativrecht des Betriebsrats
 

Macht der Betriebsrat geltend, dass die Grundsätze dieser Vereinbarung nicht eingehalten sind oder dass sich beim Betrieb eines KI-Systems bzw. der begleitenden organisatorischen Maßnahmen neuer Regelungsbedarf ergibt, so findet eine gemeinsame Beratung statt. Auf Wunsch des Betriebsrats wird über eine einvernehmliche Regelung verhandelt.

Konfliktregelung
 

Kommt in den Fällen, in denen diese Vereinbarung das Einvernehmen beider Seiten vorsieht, eine Einigung nicht zustande, so haben beide Seiten das Recht, eine gemäß §76 Ziffer 5 BetrVG zu bildende Einigunsstelle anzurufen. Diese entscheidet im Rahmen ihrer Zuständigkeit.

Schlussbestimmungen
 

Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft.Sie kann mit einer Frist von drei Monaten zum Jahresende gekündigt werden, frühestens jedoch zum 31.12.2025. Im Falle einer Kündigung wirkt sie nach bis zum Abschluss einer neuen Regelung.


tse • Karl Schmitz September 2024