Transfer-Sozialplan

Chemie-Sozialpartner erschließen arbeitsmarkt-politisches Neuland

 

  1. Bundesarbeitgeberverband Chemie und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie sind sich bewußt, daß die Beschäftigungsentwicklung ein vorrangiges Problem unserer Gesellschaft darstellt. Die Chemie-Sozialpartner untersützen die Feststellungen des Luxemburger Beschäftigungsgipfels, daß es auf die zentralen Herausforderungen der Arbeitslosigkeit keine einfachen Antworten gibt, sondern neue Ansätze gefragt sind. Dazu gehören insbesondere die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer, die Verbesserung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer und die Förderung unternehmerischen Denkens.

  2. Viele der von der Politik geforderten neuen Ansätze in der Tarifpolitik und in der Arbeitsorganisation haben die Chemie-Sozialpartner bereits verwirklicht oder auf den Weg gebracht. Dazu gehören die Arbeitszeitflexibilisierung und der Entgeltkorridor ebenso wie die Gruppenarbeit, modernisierte Berufe und weitreichende Bildungsangebote. Für die konsequente Nutzung der tariflichen und darauf basierenden betrieblichen Instrumente setzen sich die Sozialpartner unvermindert ein.

  3. Gleichwohl bleibt in einer der Globalisierung der Märkte und dem internationalen Standortwettbewerb besonders ausgesetzten Branche wie der chemischen Industrie noch einiges zu tun, um den laufenden Strukturwandel mittel- und langfristig so erfolgreich bewältigen zu können, daß sowohl die Untenehmen als auch deren Mitarbeiter dabei gewinnen.

  4. Das neue Konzept des Transfer-Sozialplans kann ein wichtiger Baustein zum Ausgleich zwischen Anpassungsfähigkeit und Arbeitsplatzsicherheit sein. Der Transfer-Sozialplan soll neue Handlungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Betriebsänderungen eröffnen. Im Kern geht es darum, für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeiter durch ein vielfältiges System abgestufter Qualifizierungs- und Transfer-Leistungen neue Beschäftigungschancen einschließlich der Existenzgründung innerhalb und außerhalb der chemischen Industrie zu eröffnen. Durch die steuerlichen, arbeits- und sozialrechtlichen Gesetzesänderungen bietet die bisherige Abfindungspraxis weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitgeber künftig ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten. Abfindungen sollen deshalb nicht mehr die in der Regel einzige Lösung sein. Es geht darum, durch ein Angebot beschäftigungsorientierter Maßnahmen neue Wege zu beschreiten. Dem kommt auch die Rechtsprechung entgegen, die inzwischen anerkannt hat, daß Arbeitnehmer, die eine zumutbare Anschlußbeschäftigung finden, von Sozialplanmaßnahmen ausgeschlossen werden können. Aus diesem Grunde sollen Alternativen zur Abfindungspraxis gefördert werden.

  5. Die Alternativen sind ein System von Vereinbarungen, das dann an die Stelle des klassischen Interessenausgleichs und Sozialplans tritt und eine Einigung zwischen den Betriebsparteien voraussetzt. Ein solcher Transfer-Sozialplan kann ohne Mehrkosten gegenüber dem herkömmlichen Sozialplan vereinbart werden, so daß er insoweit kostenneutral wäre. Es gibt auch keine Gründe für eine zeitliche Verzögerung bei der Betriebsänderung durch die Vereinbarung eines Transfer-Sozialplans.

  6. Der Beschäftigungstransfer ist auf den ersten Arbeitsmarkt gerichtet. Eine Vermittlung soll in jeder Phase der Qualifizierung möglich sein. Die Motivation der Mitarbeiter zu mehr Eigeninitiave bei der Suche nach Anschlußbeschäftigung und die Orientierung auf neue Aufgaben und Beschäftigungsfelder kann von Vermittlungshilfen und Existenzgründungsberatung begleitet werden.

  7. Da diese Phasen zum Teil nicht innerhalb des Betriebes und während des laufenden Arbeitsverhältnisses ablaufen werden, ist der Aufbau von Netzwerken und lokalen oder regionalen Transfer- und Personalentwicklungsgesellschaften erforderlich, die in Kooperation mit der Arbeitsverwaltung und anderen Trägern den Transferprozeß begleiten und ihn insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen auch unterstützen.

  8. Die Transfer-Sozialplan-Idee verlangt Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Betriebsräten ein neues Denken ab. Es geht darum, zukunftsgerichtete Lösungen gemeinsam zu gestalten. So könnte der Übergang von passiver zu aktiver Arbeitsmarktpolitik wirksam unterstützt werden. Externe Stellen wie die Arbeitsverwaltung und die Kommunen müssen in die Netzwerke einbezogen werden, damit sie die Beschäftigungsförderung unterstützen. Andere Bereiche wie die Rechtsprechung, die Medien, die Kirche und die Träger der freien Wohlfahrt haben eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Bewußtseinswandlungsprozesses in Deutschland.

  9. Die Chemie-Sozialpartner sind bereit, durch Beratung und geeignete Unterstützung bei Transfer-Maßnahmen, der Qualifizierung und der Personalentwicklung sowie mit entsprechenden Netzwerken ihren Beitrag zu dieser gemeinsamen Zukuftsaufgabe zu leisten. Garantien gibt es nicht, wohl aber Chancen und Ideen, die Beschäftigten in der chemischen Industrie für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Es gilt, durch abgestufte Transfer-Maßnahmen neue Beschäftigungschancen zu eröffnen.

  10. Neue Ansätze dieser Dimension erfordern Kommunikation, Dialog und Kooperation. Dies gilt um so mehr, als kurzfristige und spektakuläre Erfolge von den Beteiligten nicht erwartet werden. Gerade im Industriebereich sind und bleiben auch zukunftssichere Arbeitsplätze in Deutschland knapp. Nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Mitarbeiter sind aufgefordert, den Strukturwandel zu meistern und dafür frühzeitig die Voraussetzungen zu schaffen. Ein Beitrag dazu ist ein verstärktes unternehmerisches Denken sowie Beweglichkeit, Aktivität und Eigenverantwortung neben einem lebenslangen Lernen.

  11. Die Chemie-Sozialpartner haben in schwierigen Zeiten wiederholt bewiesen, daß sie in der Tarifpolitik und von ihnen beeinflußbaren Bereichen der Sozialpolitik zu innovativen Lösungen kommen und hierfür die Akzeptanz ihrer Mitglieder erhalten können. Ob dies auch mit diesem Transfer-Sozialplan-Konzept gelingen kann, wird im wesentlichen davon abhängen, daß Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Betriebsräte die darin liegenden Zukunftschancen erkennen und verantwortungsvoll nutzen.