Überlegungen zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu neuen Redaktionssystemen
Während noch in der Mitte der 90er Jahre "geschlossene" (oder weitgehend geschlossene) Systeme vorherrschten (ATEX, Linotype, SII, Hermes u.v.a.), so findet man heute Systeme, die aus Softwarekomponenten unterschiedlicher Hersteller zusammengesetzt sind.
Ein Redaktionssystem umfasst mehrere Softwarekomponenten. Die wichtigsten sind
- ein Redaktionssystem und Anzeigenproduktionssystem bestehend aus Softwarekomponenten für die einfache Texterfassung bis zur Layout-Gestaltung und Bildbearbeitung,
- ein elektronisches Archivsystem,
- ein Produktionsplanungssystem und Umbruchsystem,
- ein Anzeigenverwaltungssystem,
- ein Vertriebssystem,
- eine Telekommunikationsanlage mit ACD-Funktion und Call-Center-Software bis hin zur Compter-Telephony-Integration (CTI)
- und schliesslich die e-Mail als Kommunikationssystem sowie den Internet-Zugang als allgemein verfügbares Arbeitsmittel.
Der letztgenannte Typ von Systemlandschaften, die eher dem best practise-Prinzip folgen und das jeweils "Beste" unterschiedlicher Hersteller kombinieren wollen, ist in einer Betriebsvereinbarung schwieriger zu behandeln, weil man den Gegenstandsbereich nicht mit einem Wort benennen kann. Hier bietet sich aber an, in einer Anlage die einzelnen Softwarekomponenten aufzuzählen.
Der letztgenannte Typ ist natürlich wesentlich leistungsfähiger und flexibler und produziert nicht den Zwang zur Einheitlichkeit. Die einzelnen Redaktionen eines Verlagshauses könnten Systeme haben, die zwar für die strategisch wichtige Produktionsseite einheitlich sind, aber ihre Besonderheiten durchaus durch unterschiedliche Software für spezifische Aufgaben unterstützen könnten. Dass solcherart Flexibilität sich nicht in Unternehmen finden wird, deren Denkstrukturen dem Zentralismus verhaftet sind, versteht sich.
Auswirkungen der neuen Technik auf die Arbeitsbedingungen
Die neuen Systeme zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass alle Arbeiten näher an den Ort der Informationserstellung gebracht werden, also institutionelle Arbeitsteilungen weiter aufgehoben werden. Journalisten arbeiten Seite an Seite mit Technikern und Grafikern zusammen. Die klassische Trennung in Redaktion und Preprint-Bereich ist überflüssig geworden.
Dies ist zunächst nur eine Verlagerung von Arbeiten und würde keine Aufregung verursachen, wenn die Verlagerung von Tätigkeiten nicht gleichzeitig zur Arbeitsverdichtung missbraucht würde. Oft bedeutet ein neues Redaktionssystem die Integration der Endseitenherstellung direkt in die Redaktionen. Für die Grafiker kann dies - je nach Redaktionsbesonderheiten allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß - eine Zunahme ihres Arbeitsvolumens um 10 bis 20 Prozent bedeuten. Eine solche Lösung im Wege der Arbeitsverdichtung für den betroffenen Personenkreis ist nicht akzeptabel. Folgende Regelungen kommen in Betracht:
Neuer Schwerpunkt Mitarbeiterqualifizierung
Die Mitarbeiterqualifizierung erhält gegenüber früheren Zeiten einen deutlich höheren Stellenwert im Sinne eines berufslebenlangen Lernens. Vor allem bedingt durch die schnelle Änderungsrate der eingesetzten Technik sowie des immer kürzeren Lebenszyklus solcher Techniken müssen Unternehmen zu einer "Lernenden Organisation" werden.
Im einzelnen kann der Betriebsrat folgende Regelungen anstreben:
- Einführung einer Vorab-Planungspflicht für Mitarbeiterqualifizierung: Werden neue Systeme eingeführt, so muss deren Pflichtenheft oder das entsprechende Planungsdokument die geplanten Aufgabenverteilungen und Qualifizierungsmaßnahmen mit einer Beschreibung des betroffenen Personenkreises, der Schulungsinhalte und des Zeitplans der Abwicklung ausweisen.
- Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit neuen (oder auf der Basis von Releasewechsel wesentlich veränderten) System arbeiten sollen, muss eine Einführungsschulung angeboten werden. Diese soll in zeitlich enger Kopplung an den Einführungs- bzw. Umstellungstermin stattfinden.
- Das Qualifizierungsangebot sollte auch die Förderung der sozialen Kompetenz sowie die Unterstützung zur Selbstorganisation, u.a. in Gruppenprozessen, zum Gegenstand haben.
- In regelmäßigen, noch festzulegenden Abständen sollte ein Erfahrungsaustausch der Benutzerinnen und Benutzer mit den Ausbildern und/oder den Projektverantwortlichen stattfinden, der sowohl der Klärung von Verständnisschwierigkeiten als auch dem Sammeln von Verbesserungs- und Erweiterungsvorschlägen dienen sollte.
- Bei neuen Software-Releases müssen die Benutzerinnen und Benutzer auf die sie betreffenden Änderungen hingewiesen werden. Handelt es sich um umfangreichere Änderungen, so findet für alle Betroffenen eine entsprechende Schulung statt.
- Qualifizierungsmaßnahmen finden selbstverständlich während der Arbeitszeit statt. Für die Fälle, in denen dies nicht möglich ist, müssen noch Sonderregelungen getroffen werden. Wird Computer Based Training (CBT: Training mit Lernprogrammen) eingesetzt, so sollten dafür Arbeitszeitkontingente zur Verfügung gestellt werden. Die Leute, die mit CBT arbeiten, sollten die Möglichkeit haben, von Zeit zu Zeit mit einem echten Teacher Fragen und Probleme besprechen zu können.
Berücksichtigung eines zeitgemässen Technikstandes
Was unter einem Redaktionssystem heute sachlich zu verstehen ist, muss neu definiert werden. Eine Erweiterung um die Intranets als allgemeine Infrastruktur, Mail als Kommunikations- und Koordinationsmittel und den Internet-Zugang als Arbeitsmittel ist angezeigt.
Eine Pauschalaussage, dass keine Leistungs- und Verhaltenskontrolle stattfindet, reicht bei den vielfältigen Überwachungsmöglichkeiten heute nicht mehr aus. Eine Neuregelung sollte folgende Themen umfassen:
- Nach wie vor ist eine Dokumentation der eingesetzten Systemkomponenten nützlich. Diese Dokumentation sollte jedoch nicht zu einer bürokratischen Pflichtübung verkommen. Empfehlenswert vor allem bei "offenen" Redaktionssystemen ist es, die neue Dokumentation redaktionsweise vorzunehmen und die Benennung der Software-Produkte durch eine stichwortartige Beschreibung ihres jeweiligen Leistungsumfangs zu ergänzen sowie den Versionsstand und das Einsatzdatum wiedergeben.
- Der das Redaktionssystem bildende Softwareverbund folgt einer Client/Server-Architektur. Sowohl die Server als auch die Arbeitsplatzrechner der Benutzer müssen aber verwaltet werden; dies geschieht in der Regel durch eine Systemadministration, die Einblick in das "Innenleben" der Arbeitsplatzrechner hat und damit die Benutzer kontrollieren kann. Sofern das Thema nicht in einer IV-Rahmenvereinbarung oder in speziellen Betriebsvereinbarungen (z.B. zu Software Management Systems) geregelt ist, müssen besondere Schutzregelungen getroffen werden, die sowohl für die Administratoren als auch für die Benutzer deren Rechte und Pflichten festlegen. Besondere Beachtung gebührt dabei dem remote control, wie es z.B. die Software Timbuktu bietet. Zu klären ist dabei vor allem, unter welchen Bedingungen sich ein Administrator auf den Bildschirm eines Benutzers aufschalten darf.
- Zahlreiche zentrale Serversysteme, Datenbanken, besondere Info-Systeme, Archive und Dokumentationen bieten in den Redaktionsnetzen ihre Dienste an. Bei nahezu jedem dieser Angebote findet serverseitig eine elektronische Protokollierung der Nutzung statt. Hier muss geregelt werden, was im einzelnen protokolliert wird, welchen Zwecken diese Protokolle dienen, wer auf die Daten Zugriff hat und wie lange sie gespeichert werden dürfen.
- Eine ähnliche Problematik stellt sich bei den (externen) Online-Diensten. Hier müssen die Benutzer sich in der Regel durch eine Kennung mit Passwort identifizieren. Für kostenpflichtige Dienste erstllen die jeweiligen Provider Rechnungen, vermutlich mit Einzelnutzungsnachweisen. Auch hier sind Spielregeln zu definieren.
- Besondere Probleme gibt es mit der elektronischen Post (Mail, s.a. besondere Probleme mit der Mail-Nutzung). Die üblicherweise eingesetzten Mailserver protokollieren das Versenden. Hierbei kann unterschieden werden zwischen Eingang und Ausgang einerseits, interner und externer Post andererseits. Ähnlich wie bei einer Telekommunikationsanlage werden festgehalten die Adressen der Absender und Empfänger, das Datum, die Uhrzeit und die Größe der versendeten Datei(en). Es ist zu entscheiden, ob überhaupt ein solches Protokoll geführt werden soll. Wenn ja, dann ist der Umfang der Protokollierung festzulegen. Weiterer Regelungsbedarf besteht dann bei der Frage, wozu die Protokolldaten genutzt werden dürfen (Zweckbindung) und wer Zugang zu dem Protokoll hat. Ferner empfiehlt es sich, die maximal erlaubte Speicherdauer festzulegen. In vielen Betrieben gab oder gibt es Konflikte um die Frage, ob außer Absender und Empfänger noch weitere Personen die geschriebenen Mails einsehen dürfen; dies wäre verbindlich auszuschließen und ist auch nicht zu Zwecken einer Stichprobenkontrolle über missbräuchliche Nutzung einzuräumen. Schließlich ist noch festzulegen, in welchem Umfang die - betrieblich meist übliche - privat-persönliche Nutzung der Mail erlaubt ist. Bleibt dies ungeregelt oder wird gar verordnet, dass die Mail ausschließlich zu beruflichen Zwecken genutzt werden darf, so entsteht eine hohe Rechtsunsicherheit für die Beschäftigten. Zu guter Letzt erscheinen noch Regelungen für den Vertretungsfall erforderlich (vgl. auch ausführliche Regelung zur Mail).
- Eine ähnliche Problematik stellt sich bezüglich des Internet-Zugangs. Zunächst ist festzulegen, wer überhaupt Zugang haben soll; der Betriebsrat wird hier auf einer Art Gleichheitsgrundsatz bestehen. Dann ist eine Abgrenzung über dienstlichen und privaten Gebrauch zu treffen. Da beides nur ein Mausklick voneinander entfernt ist und in vielen Grenzfällen eine Unterscheidung objektiv schwierig werden dürfte, sollte eine Regelung gefunden werden, die eine persönliche Nutzung in geringem, die Arbeitsabläufe nicht beeinträchtigendem Umfang gestattet; anderenfalls setzen sich die Beschäftigten wieder einem unangemessen hohen arbeitsrechtlichen Risiko aus.
- Genau wie bei der Mail kann die Internet-Nutzung von den Proxy-Servern, die den Kontalt als Netzwerkdienst vermitteln, protokolliert werden. Auch hier können eine Vielzahl von Parametern im Protokoll festgehalten werden. Es ist zu entscheiden, ob überhaupt solche Protokolle gefürt werden, wenn ja: welche Zugriffe protokolliert und welche Informationen pro Zugriff festgehalten werden. Auch hier ist ein Zweckbindung für die Nutzung der Protokolldaten zu vereinbaren, ferner welcher Personenkreis Zugriff erhalten soll und wie lange die Protokolldaten aufgehoben werden sollen (vgl. auch ausführliche Regelung).
- Workflowsysteme (Planmaker u.ä.) sind heute Bestandteil jeden Redaktionssystems; sie erlauben das zeitliche Verfolgen der Arbeitsabläufe und damit eine nachträgliche Überwachung der Arbeit. Hier sind die Details sorgfältig zu prüfen; eine allgemeine Empfehlung fällt wegen sehr unterschiedlicher Lösungsmöglichkeiten sehr schwer.
- Die Nutzung von Kalendersystemen und Aktivitätenlisten wird heute standardmäßig von den meisten Kommunikationssystemen angeboten. Solange die Nutzung n das persönliche Ermessen der Beschäftigten gestellt ist, bedarf es keiner Regelungen. Sobald aber eine gemeinschaftliche Nutzung stattfinden soll, müssen die Rechte und Pflichten der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeoter präzisiert werden. Eine Regelung über die Zugriffsrechte wird dann ebenfalls unerlässlich.
- Zukünftig ist eine Zunahme von Telearbeit zu erwarten (insbesondere stellt sich dieses Problem bei den "freien Mitarbeitern"). Auch hier muss über ergänzende Regelungen nachgedacht werden.
- Für den Umgang mit persönlichen Speicherbereichen auf den Arbeitsplatzrechnern der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (oder auf ihnen zugewisenen Netzwerklaufwerken) sollten Grundsätze festgelegt werden.
Arbeitsplatzausstattung und Gesundheitsschutz
Natürlich sind die Ergonomie von Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung Thema einer Vereinbarung. Über einen Verweis auf die geltende Bildschirmarbeitsplatzverordnung hinaus sollten die Bedingungen an Arbeitsplätzen mit besonderen Belastungen detaillierter geregelt werden.