Einfache Strukturen
Einleitung -Modellierung - Steuerbarkeit - Sichtbarkeit -Natürliche Symbole - Umgang mit Fehlern - Intuitive Bedienung - Anpassbarkeit - Regelungen

Das Arbeiten mit Computern ist eine alltägliche Aufgabe geworden. Und genau diese Alltäglichkeit bestimmt auch den Einsatz der Computer im Arbeitsleben. Alltagsaktiviäten aber sind eher einfach als kompliziert. Die meisten dieser Aufgaben sollten sich erledigen lassen, ohne dass man darüber umfänglich nachdenken muss.

Soweit Computer zur Unterstützung solch alltäglicher Arbeitsaufgaben eingesetzt werden, sollte das Arbeiten mit ihnen der gleichen Anforderung genügen. Oder formulieren wir es etwas bescheidener: Der Einsatz eines Computers sollte einer Arbeitsaufgabe zumindest keine zusätzlichen Schwierigkeitsgrade verleihen.

Da die Unterstützung von Arbeitsaufgaben durch Computereinsatz immer auch das Design des ganzen Arbeitssystems berührt, ergeben sich mit der Einführung einesw Softwaresystems weitere Gestaltungsmöglichkeiten, die dazu genutzt werden können, die Arbeitsaufgaben einfach zu halten oder zu komplex gewordene Strukturen wieder durch überschaubare Verhältnisse zu ersetzen.

Durch einfache Strukturiertheit sollten Arbeitsaufgaben das Ausmaß des erforderlichen Planens und die Anzahl der gleichzeitig zu koordinierenden Vorgänge überschaubar halten. Unnötig komplizierte Arbeitsschritte können neu strukturiert werden, so dass sie einfachere Abläufe darstellen. Gerade hier kann die Computerunterstützung einen wichtigen Beitrag leisten. Auf jeden Fall müssen die Grenzen der Fähigkeit eines Menschen, verschiedene Dinge im Gedächtnis zu behalten und die Zahl der Gedanken, die ein Mensch auf einmal aktiv verfolgen kann, berücksichtigt werden. Es handelt sich dabei um Grenzen sowohl des Kurz- als auch des Langzeitgedächtnisses und der Aufmerksamkeit. Erfahrungsgemäß sind die Grenzen des Kurzzeitgedächtnisses so beschaffen, dass Menschen wenig mehr als fünf bis sieben voneinander unabhängige Dinge gleichzeitig erinnern können. Das Langzeitgedächtnis wird entlastet, wenn die zu erinnernden Informationen in ein einleuchtendes Konzept passen, sich also an bereits Bekanntes und Präsentes anschließen lassen. Es muss berücksichtigt werden, dass Inhalte des Langzeitgedächtnisses oft nur langsam und oft auch nur fehlerhaft abrufbar sind. Dies kann durch die Bedingungen der Arbeitsumgebung erschwert werden, vor allem wenn sie der Aufmerksamkeit zusätzliche Grenzen setzen. Besonders lästig sind in diesem Zusammenhang erzwungene Arbeitsunterbrechungen. Auch hier können Software-Systeme Abhilfe, zumindest aber Milderung schaffen, indem sie einmal selber möglichst keine Unterbrechungen erforderlich machen (z.B. durch die Notwendigkeit, den Computer-Arbeitsplatz verlassen und in einer Akte oder technischen Beschreibung Dinge nachsehen zu müssen) und zweitens Hilfestellungen bieten bei der Wiederherstellung des Zustandes vor einer erzwungenen Unterbrechung, indem problemlos die Arbeit an der alten Stelle fortgesetzt werden kann.

Durch den Computer-Einsatz lassen sich Aufgaben vereinfachen, d.h. neu so strukturieren, dass geistige Anstrengungen vor allem bezüglich der abgeforderten Aufmerksamkeit reduziert werden. Es ist kein Wert an sich, wenn Arbeitsaufgaben schwer sind. Der Einwand, durch Vereinfachung würden die geistigen Fähigkeiten der Menschen verkümmern und damit die Arbeit abgewertet, ist nicht stichhaltig. Bei jedem technischen Fortschritt hat es Kritiker gegeben, die eine Abwertung menschlicher Fähigkeiten beklagten. Hätte man auf sie gehört, so würden heute noch die reitenden Boten für die Informationsverteilung zuständig sein. Wer gibt nicht zu, dass es besser ist, mit einem Taschenrechner Zahlenkolonnen zusammenzuzählen statt sich stundenlang mit gespitztem Bleistift abzuquälen und dabei doch noch Fehler zu machen, die sich schwer nachvollziehen lassen? Vereinfachung ist Entlastung von der direkten Anforderung einer Arbeit. Dadurch wird beträchtliche Energie frei, die sich den “eigentlichen” Arbeitsaufgaben zuwenden kann. Bei der Arbeit mit einem Textsystem konzentriert man sich doch lieber auf die Gestaltung des Textes, statt seine Mühe mit der Abwicklung des schieren Schreibvorgangs zu haben.

Die Vereinfachung von Aufgaben ist eine wichtige Strategie, Belastungen der Mitarbeiter zu reduzieren. Vier Ansätze lassen sich hier nennen:

Den Wert schon einfacher Gedächtnisstützen kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Die Leistungsfähigkeit der Grafiksubsysteme heutiger Computer erlaubt es, fast jedes Stück Wirklichkeit des Arbeitslebens und das dahintersteckende geistige Modell hinreichend gut und vollständig abzubilden und das, was irrelevant ist, versteckt zu halten. Diese Techniken des Sichtbarmachens führen zu wesentlichen Arbeitserleichterungen.

Problematischer stellt sich die Automatisierung dar. Sie birgt gewisse Gefahren. Wenn lästige und unnötige Arbeiten abgeschafft werden, so weint dem sicher niemand eine Träne nach. Doch die Automatisierung tendiert auch dazu, dem Benutzer ein Stück Kontrolle über den Vorgang wegzunehmen. Ideal wäre ein Zustand, bei dem der Benutzer jederzeit selber zwischen Automatisierung und vollständiger individueller Steuerung wählen kann.

Oft führt ein tieferes Nachdenken über eine Arbeitsfolge dazu, andere Verfahren einzusetzen oder die zu erledigenden Aufgaben anders zu konzipieren. Gleich welche Veränderungen für das Arbeitssystem auch anstehen mögen, ein wichtiger Grundsatz sollte in jedem Fall befolgt werden, und der heißt: dem Benutzer niemals die Kontrolle über die Abläufe entziehen.

Unter dem Gesichtspunkt, einfache Strukturen zu erhalten, verdient viele Standardsoftware eine herbe Kritik. Hier kann man einen Prozess beobachten, den Don Norman die “schleichende Seuche der Leistungsmerkmale” nennt. Es geht um den “Eierlegende-Wollmilchsau-Effekt”, der nicht nur bei so vielen Textverabeitungs- und Tabellenkalkulationsprogrammen zu beobachten ist. Gemeint ist die Überfrachtung der Programme mit immer mehr Einzelfunktionen. Ein Programm kann schlechterdings nicht überschaubar, verständlich und benutzerfreundlich bleiben, wenn es mit einer Vielzahl von Sonderfunktionen überladen wird. Man muss bedenken, dass jedes neue Leistungsmerkmal mindestens eine neue Anzeige- und eine neue Steuerungsfunktion, vermutlich aber eine Vielzahl neuer Elemente zur Folge hat. Notgedrungen muss dann beim Design der Software ein guter Grundsatz nach dem anderen über Bord geworfen werden. Immer mehr Dinge müssen unsichtbar gemacht werden. Das Programm kann kaum noch Nutzungsangebote machen, aus dem einfachen Grund, weil auf dem Bildschirm kein Platz mehr ist. Die verwendeten Symbole werden immer kompakter und abstrakter, eine natürliche Orientierung wird erschwert. Dazu bemerkt John Shore schon Mitte der achtziger Jahre:

Das Gefährliche an diesem Überladungs-Syndrom ist sein schleichender Charakter. Alles fängt so harmlos an. Und meistens sind es die “Kunden” selber, die den Herstellern signalisieren, wie schön doch noch dieses oder jenes zusätzliche Leistungsmerkmal wäre.

Es gibt nur eine Radikalkur: Verzicht auf die vielen zusätzlichen Leistungsmerkmale, striktes Befolgen eines Sparsamkeitsgrundsatzes! Oder vielleicht hilft auch folgende Regel: Für jedes neue Leistungsmerkmal muss eine alte Funktion geopfert werden. Leider ahnt man förmlich die Chancenlosigkeit des letztgenannten Weges. Zum Glück bleibt noch eine mehr organisatorische Lösung: das Programm aufteilen in verschiedene Module, die jeweils inhaltlich zusammengehörende Funktionen umfassen, z.B. das Handling mit Text, die Kalkulationsfunktionen, ein Untersystem mit den Malwerkzeugen usw. Die Module können relativ unabhängig voneinander realisiert werden. So brauchen zum Beispiel die Malwerkzeuge nicht sichtbar zu sein, während man Text bearbeitet.

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Karl Schmitz, Januar 1998