In immer mehr Unternehmen werden E-Mail-Archivierungssysteme eingesetzt. Die meist lapidare Begründung für den Betriebsrat lautet: "Wir sind aufgrund der Steuergesetze zur Archivierung des E-Mail-Verkehrs verpflichtet." Die teure Software ist zu diesem Zeitpunkt dann oft schon angeschafft.
Der Einsatz eines Archivierungssystems unterliegt jedoch der Mitbestimmung und insbesondere der Umfang der geplanten Archivierung sollte kritisch hinterfragt werden. Fast immer beharren die Projektverantwortlichen zunächst darauf, den kompletten Mail-Verkehr der Beschäftigten auf Jahre abzuspeichern. Darauf sollten sich Betriebsräte nicht einlassen, es gibt keine steuerrechtliche Pflicht zur Totalarchivierung der E-Mails. Vielmehr ist die jüngere Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, in der es das Verbot der Vorratsdatenspeicherung mit Nachdruck bekräftigt hat.
Kurzfassung: Es gibt keine Pflicht zur kompletten und automatische Archivierung von E-Mails!
Es gibt lediglich die Pflicht des Unternehmens, bestimmte Vorgänge zu dokumentieren und für Steuerprüfungen nachzuhalten, wenn diese Vorgänge steuerrechtliche Auswirkungen haben, im Juristensprech: "Handels- und Geschäftsbriefe, Buchungsbelege sowie sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind" (§147 AO). Die langen Aufbewahrungsfristen von sechs bzw. zehn Jahren ergeben sich aus §257 HGB.
Buchungsbelege sind in den Buchhaltungssystemen der Unternehmen abrufbar. Unter Handelsbriefen und Geschäftsbriefen sind lt. Kommentaren zum HGB zu verstehen: Dokumente, die die Vorbereitung, den Abschluß, die Durchführung oder die Rückgängigmachung eines Geschäfts zum Gegenstand haben.
Daraus kann man schon als Laie ableiten, dass die Archivierungspflicht nur einen verschwindend kleinen Teil der E-Mail-Korrespondenz der Beschäftigten betrifft. Eben nur die Mails, die z.B. Vertragstexte oder Rechnungen als elektronische Anlage enthalten. Mails von Angestellten in Vertrieb und Buchhaltung mögen davon gelegentlich betroffen sein, die Kollegen in den meisten anderen Abteilungen aber nicht. Besonders problematisch wird die Situation, wenn auch Mails von Betriebsärzten und Betriebsräten archiviert werden soll.
Gegen die Komplettarchivierung spricht auch, dass die relevanten Daten für sachverständige Dritte (die Steuerprüfer) in angemessener Zeit leicht überprüfbar sein müssen (§145 Abs.1 AO). Bei einer Komplettarchivierung wäre aber 97% Datenschrott im Archiv enthalten. Wir unterstellen, dass damit diese Anforderung nicht erfüllt werden kann.
Diese Auffassung teilt im übrigen auch der Bundesverband der Informationswirtschaft BITKOM, als Arbeitgeberverband nun keiner übertriebener Rücksicht ggü. den Arbeitnehmern verdächtigt. BITKOM legt in Abschnitt 10.9 des Leitfadens GdPdU weiterhin dar, dass eine elektronische Aufbewahrung von Mails sowieso nicht zwingend erforderlich sei, da es sich um keine strukturierten elektronischen Daten handelt. Ausdrucken und Abheften ginge demnach auch.
Nicht erst seit der jüngsten Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zudem zu beachten, dass Daten nach Maßgabe des Grundgesetzes nur dann gespeichert werden dürfen, wenn u.a. der Verwendungszweck genau benannt ist und die betroffenen Datensätze für diesen Zweck inhaltlich relevant sind. Doch genau dies ist das Problem, wenn giga-byte-weise die interne persönliche, möglicherweise auch private Kommunikation der Mitarbeiter ein Jahrzehnt lang revisionssicher, d.h. ohne Löschungsmöglichkeit, archiviert wird. Diesen Mails fehlt es an der vorgeschriebenen Steuerrelevanz und ihre Speicherung verstößt damit gegen das Verbot der Vorratsspeicherung.
Eine Kompletterfassung sollte aus den oben angeführten Gründen abgelehnt werden.
Sinnvoll erscheint es uns, eine Regelung zu treffen, die es den Beschäftigten ermöglicht, die zu archivierenden E-Mails manuell in einen Ordner zu verschieben, dessen Inhalte regelmäßig und automatisiert in das Archivsystem überführt werden. Das wäre eine saubere Lösung, die die Archivierung auf die wirklich notwendigen Vorgänge reduziert, die für die Steuerprüfung nachprüfbar bleibt und mit keiner unbeabsichtigten Offenlegung des Kommunikationsverhaltens der Beschäftigten verbunden ist.
Mitarbeitern, die besonders häufig archivierungspflichtige Mails bekommen, könnte man anbieten, dass Archivierungsverhalten "umzukehren". In dem Fall würden die Mails des Postfachs grundsätzlich archiviert, außer diejenigen, die vom Mitarbeiter in einen Ordner "nicht archivieren" verschoben worden sind.
Beim Entwurf einer Betriebsvereinbarung sind wir gerne behilflich.