Was ist deren Orientierungsrahmen? Warum bewertet man die Aktien von Firmen wie Microsoft oder SAP (immer noch) relativ hoch? Es ist nicht die Qualität der Produkte. Es ist die Annahme, dass man die erworbenen Aktien in unmittelbarer Zukunft teurer verkaufen kann als man sie selber eingekauft hat. Es ist die Profit-Erwartung der Anleger. Besonders deutlich zeigte sich dieser Effekt bei den Internet-Firmen (z.B. Yahoo, Excite, Lycos); sie haben bisher nur Verluste gemacht, wurden aber bewertet wie Grosskonzerne - und sind teilweise heute immer noch überbewertet.
Dieses Spiel - so sollte man meinen - kann sich nicht beliebig von der "Gebrauchswertseite" der von den betreffenden Firmen hergestellten Produkten oder angebotenen Dienstleistungen entfernen . Wenn alle Welt begriffe, dass SAP nichts taugte, dann - so darf man annehmen - kauft auch niemand mehr die Aktie. Vorher: wenn ein grösserer Teil der Welt daran zweifelt, dass die Marktdominanz der Firma in nächster Zeit bestimmend bleibt, dann lässt der Aktienkurs nach.
So geschehen in den Julitagen des Jahrs 1998: Das SAP-Quartalsergebnis lag zwar über den Prognosen der SAP selber, doch es blieb hinter den anlegerverwöhnenden Steigerungsraten der letzten Quartale zurück. Prompt brach die Aktie um rund 10 Prozent ein. Aber das hat keine große Bedeutung. Wenig später heißt die Devise schon wieder Neues Spiel - Neues Glück.
Auf dem Weg in die institutionelle Blindheit.
Wer erkennt die Trends rechtzeitig? Haben die Gameleader das Spiel nicht mehr in der Hand? Müssen wir damit rechnen, dass crash-artige Abstürze den Aktien-Höhenflügen ein - zudem zeitlich nur schwer kalkulierbares - jähes Ende setzen? Nimmt das Zocker-Spiel Dynamiken jener verpönten Kettennspiel-Aktionen an. Motto: Die Letzten beißen die Hunde.
Aber einer der wichtigsten Gründe, warum dem Shareholder-Value-Konzept kein langfristiger Erfolg beschieden sein kann, ist der simple Tatbestand, dass das Substrat selbst der ausgebufftesten Börsen-Zockerei immer noch die von Menschen geleistete, wertschaffende Arbeit ist. Sie lässt sich nicht beliebig eliminieren.
Shareholder Value ist immer noch das dominierende Konzept, das die leitenden Orientierungen aus der Epoche der zu Ende gehenden Geld-Ökonomie pointiert zum Ausdruck bringt: die Überbetonung des Marktwertes der Firmen, während sich die neue Ökonomie schon heftig an einer anderen "Währung" ausrichtet: bei der Vielfalt und Menge an Informationen zu Beginn des Informationszeitalters konzentriert sich das die Welt wirklich bewegende Geschehen längst an dem einzig knappen Gut: der Aufmerksamkeit für die vielen Informationen. Shareholder Value ist vielleicht einer der letzten epochemachenden Aufschreie der alten Zeit gegen eine neue Zeit. Geld macht hässlich; berühmt wird man nicht, wenn man Geld hat - dafür muss man andere Qualitäten zeigen.
Karl Schmitz, August 1998 / Februar 2002