Elena - Das virtuelle Arbeitsbuch

UPDATE Juli 2011: Elena eingestampft!

Ganze drei Absätze ist den Bundesministerien für Wirtschaft und Arbeit die Mitteilung wert, dass eines der "Leuchtturmprojekte" der vergangenen Jahre beerdigt wird. ELENA, Datenkrake und zentrale Datenbank für Arbeitnehmerdaten, wird wieder abgeschafft. Als Grund werden - späte Erkenntnis - die ungelösten Datenschutzprobleme angeführt, die die Datenübertragung und die zentrale Speicherung mit sich bringen würde. Die bislang übermittelten 400 Millionen Datensätze sollen gelöscht werden.

Damit umgeht die Koalition wohl auch eine gerichtliche Klärung durch das Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von ELENA. Über 22.000 Bürger hatten eine entsprechende Klage angestrengt, auch die tse hat das Verfahren massiv kritisiert.

Lächeln für ELENA. - Die Werbe-Models der ELENA-Website strahlten noch drei Monate nach dem ELENA-Stopp immer noch um die Wette und verkünden, wie glücklich Datensammeln macht.

Ende gut, alles gut? Wohl kaum: In der Presseerklärung wird angedroht, dass auf Grundlage der "bestehenden Infrastruktur des ELENA-Verfahrens" ein neues Konzept erarbeitet werde. Das verheißt nichts Gutes...

Hintergrund - Das Gesetz

Das im Frühjahr 2009 beschlossene Gesetz sieht die regelmäßige Übermittlung von Daten vor, die früher für Bescheinigungen im Bereich des Arbeitslosengeldes I (Arbeitsbescheinigungen, Nebeneinkommensbescheinigungen und Auskünfte über die Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung) sowie Auskünfte über den Arbeitsverdienst zum Wohngeldantrag und den Einkommensnachweise im Zusammenhang mit dem Bundeselterngeld und Elternzeitgesetz vorsahen. Diese Bescheinigungen wurden bisher vom Arbeitgeber im Bedarfsfall erstellt. Nach dem Elena-Verfahren entfällt die Bescheinigung durch die Unternehmen, und die jeweils zuständige Behörde kann sich durch Direktzugriff auf die zentrale Datenbank die erforderliche Information beschaffen.

Diese Zugriffsmöglichkeiten für die Behörden sollen stufenweise ab 2012 realisiert werden. Jedoch schon ab dem 1. Januar 2010 müssen die Unternehmen die Daten regelmäßig an die sog. Zentrale Speicherstelle (ZSS) übermitteln, welche bei der Datenstelle der Träger der Rentenversicherung eingerichtet wurde. Zuwiderhandlungen werden mit einem Ordnungsgeld bedroht.

Die Daten

Die zu übermittelnden Daten sind im Gesetz aufgefürt. Dabei handelt es sich um Vor- und Familiennamen, Geburtstag, Anschrift, Versicherungsnummer bzw. Verfahrensnummer, die eigens für die Personen vergeben wird, die keine Versicherungsnummer in der gesetzlichen Rentenversicherung haben. Zu melden sind zudem das erfasste Einkommen in Euro, Beginn und Ende des Zeitraumes, für den das erfasste Einkommen erzielt worden ist, sowie der Name und die Anschrift des Arbeitgebers und die Betriebsnummer des Beschäftigungsbetriebes. Weiterhin sind die für die Einkommensnachweise in den Gesetzen vorgesehenen Angaben zu übermitteln (z. B. Art der Tätigkeit, Beginn, Ende, Unterbrechungen und Grund für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, das Arbeitsentgelt und sonstige Geldleistungen, die der Arbeitnehmer erhalten hat oder zu beanspruchen hat). Wie dies im einzelnen zu geschehen hat, wird in einer Datensatzbeschreibung technisch festgelegt.

Dabei handelt es sich um ein über 40 Seiten dickes Monsterdokument, bei der in Steinzeitmanier des Informationszeitalters beschrieben ist, wie und was alles übermittelt werden soll, in bewährtem Lochkartenformat, z. B. Spalte 021-029 im Datenbaustein DBEN–ELENA Grunddaten, TAETIGKEITSSC TTSC, Angaben zur Tätigkeit nach dem Tätigkeitsschlüssel der Bundesagentur für Arbeit..., fünfstellig linksbündig mit nachfolgendem Leerzeichen usw.

Quelle: Friedländer, Vera: Man kann nicht eine halbe Jüdin sein, Berlin 2008

Das alles hat einen Deja-Vu-Effekt, und der ist nicht schmeichelhaft: Zur Nazi-Zeit gab es das Arbeitsbuch, das für jeden Arbeitnehmer Pflicht war; die Unternehmen durften nur Menschen beschäftigen, die ein solches Arbeitsbuch vorlegen konnten. Es enthielt ziemlich genau dieselben Daten, nur nicht in der bürokratischen Ausführlichkeit wie sein elektronischer Nachfahr - ELENA Das virtuelle Arbeitsbuch.

Die erste im Herbst 2009 herausgegebene Datensatzbeschreibung sah im Datenbaustein DBKE-Kündigung/Entlassung neben den Angaben zum Arbeitsvertrag und dessen Ende bzw. Unterbrechung auch die Meldung vor, ob einer Kündigung eine Abmahnung vorausgegangen war; das Datum der Abmahnung war einzutragen. In einem Freitextfeld konnte dann das vermeintlich vertragswidrige Verhalten, welches Anlass zur Kündigung gab, näher beschrieben werden. In dem Datenbaustein DBFZ-Fehlzeiten war zu den Arten der Fehlzeiten u. a. anzugeben, ob diese auf einem rechtmäßigen oder unrechtmäßigen Streik beruhten. Nach heftigem Protest einiger Gewerkschaften wurde dies zurückgenommen; die entsprechenden Schlüsselausprägungen bleiben nun frei - oder bereit für künftige neue Nutzungen.

Die Kritik

Das Elena-Verfahren ist eine anlasslose Datensammlung auf Vorrat. Flächendeckend werden nun Daten gesammelt, die früher nur dann beizubringen waren, wenn die betroffene Person eine entsprechende Sozialleistung in Anspruch nehmen wollte. Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere zum Computergrundrecht und neuerlich zur Vorrausdatenspeicherung kann mit ziemlicher Sicherheit vorausgesagt werden, dass diesem Gesetz auch seine höchtrichterliche Bescheinigung der Verfassungswidrigkeit widerfahren wird.

Im Einzelfall mussten bisher auch viele der im Elena-verfahren vorgesehenen Informationen beigebracht werden. Es ist "jedoch ein Unterschied, ob diese Informationen in einem individuellen Verfahren erhoben werden, oder ob sie auf Vorrat für alle Beschäftigten der Bundesrepublik Deutschland in einer zentralen Datenbank gespeichert werden", merkt der Leiter des schleswig-holsteinischen Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD), Dr. Thilo Weichert an und erklärte dazu:

Die zentrale Speicherung der Daten aller Beschäftigten in der Bundesrepublik auf Vorrat hat eine völlig andere Qualität als das bisherige Verfahren, bei dem im Bedarfsfall eine Bescheinigung auf Papier ausgestellt wurde. Dies macht eine hinreichend bestimmte Regelung – zumindest in der Rechtsverordnung – nötig. Solange eine wirksame Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Datenlieferung fehlt, muss unseres Erachtens kein Arbeitgeber entsprechende Meldungen vornehmen.

In einer älteren Erklärung desselben ULD wurden die Firmen aufgefordert, die monatlich fällige Datenüberweisung zu unterlassen. Dies stelle zwar eine Ordnungswidrigkeit dar und ist auch mit einem Bußgeld bewehrt. Es wäre jedoch kaum zu erwarten, dass die für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten zuständige Deutsche Rentenversicherung Bund angesichts des Fehlens einer Rechtsgrundlage von dieser Befugnis Gebrauch machen wird.

Mit etwas Zivilcourage könnten die Firmen dieser Empfehlung folgen - oder zumindest gemeinsam mit ihren Betriebsräte ein Protestschreiben loslassen. Ansonsten bleibt die Hoffnung auf die letzte Instanz für die Wahrung der bürgerlichen Freiheitsrechte: Das Bundesverfassungsgericht, das dem Elena-Gesetz hoffentlich bald einen Platz neben den vielen anderen staatlichen Big-Brother-Übungen auf der Müllhalde der Geschichte verschaffen möge.