Bezüglich SAP trifft man immer wieder auf das schwerverständliche Phänomen völlig auseinanderdriftender Urteile. Fragt man die Bosse, so bekommt man die einschlägigen Jubeltöne zu hören. Fragt man das Fußvolk, so ist oft Stöhnen angesagt, jedenfalls ist nicht mehr viel von der Begeisterung aus den Chefetagen übriggeblieben.
Wie kommt es zu so unterschiedlichen Auffassungen? Zwei Aspekte fallen auf:
Und warum das so ist, ein Grund dafür ist sicher darin zu finden, daß beim Kauf von Software die ansonsten hochgelobten Mechanismen des freien Marktes fast beliebig ausgeschaltet sind. Nicht die Benutzer von Software sind die Käufer, sondern die Chefs, die nicht mit der Software, die sie eingekauft haben, arbeiten müssen. Oder schonmal ein Vorstandsmitglied beim Auftragserfassen vor der SAP-Glotze gesehen?
SAP ist ein Großsystem der guten alten funktionalen Tradition. Funktional heißt, daß die Arbeitsabläufe im einzelnen in Programmen festgelegt sind. SAP ist kein gigantomanisches Excel, kein Programm mit Werkzeugcharakter, sondern folgt dem Leitbild Computer als Maschine. Die "festverdrahteten" Arbeitsabläufe können ein bißchen per Customizing beeinflußt, aber nicht entscheidend verändert werden. Für viele Programmabläufe ist dies auch nicht erwünscht, weshalb Kreativität in der Buchhaltung ja auch nicht so gefragt ist. Die Finanz- und Betriebsbuchhaltung waren die ersten Erfolgsfelder von SAP. Die ursprüngliche Einfachheit ist inzwischen einer überbordenden Fülle von Funktionalität gewichen - was bei den Chefs wieder gut angesehen ist, im betrieblichen Alltag aber oft so überflüssig wie ein Kropf ist.
Funktionale Programme sind top-down geschrieben und legen die Arbeitsstrukturen fest. Es gibt Anwendungsfälle, da ist dies absolut in Ordnung. Aber wenn man es mit Arbeitssystemen zu tun hat, die sich schnell und flexibel veränderten Anforderungen anpassen müssen, dann steht man mit solcherart Software ziemlich auf dem Schlauch. Man kann nicht einfach die Arbeit ändern. Erst muß man die Software ändern. Das kann man - wegen der riesigen Komplexheit dieser Superprogramme - nicht mehr selber. Also muß man wieder die Consultants holen. Die kosten Geld - und das dauert. Und ob die alles richtig machen, ist auch oft Glückssache.
Dann ist da nochwas: SAP stolpert buchstäblich über den eigenen Erfolg. Die Softwareschmiede muß ein jährliches Personalwachstum von 30 - 50 Prozent bewältigen. Man holt sich die jungen Leute direkt von den Universitäten, Studenten mit Prädikatsexamen. Schön, aber zwei Nachteile:
So wundert es nicht, wenn der Spalt zwischen Software und Realität den Menschen beachtliche Spagate abverlangt.
Natürlich gibt es andere Firmen, die Ähnliches herstellen, manchmal besser, manchmal schlechter, aber nirgendwo so komplett wie SAP.
Konkurrenten nicht erfolgreich genug
Die SAP-Konkurrenz hat teils auf modernere, objektorientierte Techniken gesetzt, die Schwierigkeiten aber offensichtlich unterschätzt - und ist in die Bredouille geraten, weil niemand ein Auslaufmodell kaufen will, wenn ein runderneuertes Produkt bereits angekündigt ist, aber nicht geliefert werden kann.
SAP-Beliebtheit bei den Chefs
Das hohe Ansehen der Walldorfer Softwareschmiede bei Vorständen und Geschäftsführungen wurde bereits erwähnt. Uns sind Fälle bekannt, in denen sich über 90 Prozent der Abteilungs- und Hauptabteilungsleiter für ein anderes Produkt ausgesprochen haben und der Vorstand doch eine Entscheidung zugunsten von SAP getroffen hat. Ganz groß rauskommen wollte er dann mit diesem Denkmal-Projekt.
Programmierer davongejagt
Die Objektorientierten Techniken erlauben heute ein Prorammerstellen, das bis zum Faktor 100 produktiver ist als das traditionelle Programmieren. So könnte man sich für Standardaufgaben Standardsoftware kaufen und für die Unterstützung der besonderen internen Prozesse eigene Software erstellen. Doch viele Firmen haben sich von den Handwerkern per Outsourcing ihrer Anwendungsentwicklung verabschiedet oder die Programmierer gleich in die Wüste geschickt. Nun bestraft sie das Schicksal.
Barrieren in den Köpfen
Die Vorteile neuer Softwaretechniken kann man nicht nutzen, wenn man an alten Arbeitsstrukturen und Managementmethoden festhält. Die neuen Techniken eignen sich hervorragend dazu, Informationen und Entscheidungsbefugnisse und damit Verantwortung breit zu verteilen und nahe an der operativen Arbeitsebene anzusiedeln. Doch mit der damit verbundenen Enthierarchisierung allein ist es nicht getan. Das neue Modell setzt Führung voraus. Es ist einfacher, sich auf die geronnenen Strukturen traditioneller Software zu verlassen, die Imitationsfähigkeiten von den Führungskräften verlangt, nicht aber Nachdenken. Ein anderer Managementstil ist gefragt (vgl. z.B. das Balanced-Scorecard-Verfahren).