Künstliches Bewusstsein

Der Titel ist eine Provokation. Künstliches Bewusstsein, Stand heute - gibt es nirgendwo. Ingenieure arbeiten aber daran, Maschinen herzustellen, die wenigstens über eine - zugegeben niedere - Stufe von Bewusstsein verfügen. Um die Erforderlichkeiten für die Erfüllung dieses Wunsches darzustellen, ist eine Bestandsaufnahme nützlich über das, was künstliche Intelligenz kann und vor allem was sie (noch) nicht kann. Das eingeklammerte noch steht für Sie, wenn Sie ein harterprobter Optimist sind.

Was KI nicht kann

Lobeshymnen auf die KI-Technik gibt es genug. Die Enthusiasten lassen dabei ihrer Phantasie viel Raum, von immensen Produktivitätssteigerungen bis zur Superintelligenz. Deshalb ist es nützlich, die Grenzen dieser Technik zu resümieren.

Die Grenzen der KI

  • kann nur digital,
  • hat keine autonome Wahrnehmung,
  • versteht nichts,
  • ist nicht kreativ,
  • hat keine Gefühle,
  • kein Bewusstsein,
  • keinen eigenen Willen und
  • keine Fähigkeit zu autonomen Entscheidungen

Eine der folgenschwersten Einschränkungen der KI-Technik ist, dass sie nur mit digitalem Inhalt umgehen kann, mit Dingen, die mathematisierbar und berechenbar sind.

Sie ist ausgesprochen „lernbehindert“, denn die Sprachmodelle der Neuronalen Netze müssen mit sehr vielen Daten, Millionen, Milliarden oder besser Billionen Beispielen trainiert werden. Dann können sie einigermaßen verlässlich wiedergeben, was sich in den Mustern ihrer Trainingsdaten befindet. Diese Muster können sie exzellent erkennen. Sie können interpolieren, ziemlich gut, wenn man mit seinen Anfragen den Bedeutungszusammenhang der Trainingsdaten nicht verlässt. Außerhalb davon tun sie sich schwer und erkennen nicht wirklich, wann sie die Grenze zur Extrapolation überschreiten. Das wird dann beschönigend „halluzinieren“ genannt.

Heutige Systeme der künstlichen Intelligenz verfügen über keine eigene, autonome Wahrnehmung. Sie können nur das verarbeiten, was man als Input in sie hineingesteckt hat. Sie müssen immer wieder nachtrainiert werden, wenn sie aktuell bleiben wollen. Ihr oft menschenähnliches Gehabe, die ihnen von den Enthusiasten angedichtete emotionale Intelligenz, beruht nur auf Simulation. Die KI-Systeme können auch nichts empfinden, haben keine Gefühle und kein Bewusstsein, schon gar nicht wie wir Menschen ein Selbstbewusstsein. Im wahrsten Sinne des Wortes, sie wissen nicht, was sie tun.

Der Unterschied

Unser Gehirn arbeitet analog, nicht digital. Wir verfügen über eine autonome Wahrnehmung, steuerbar unter anderem durch unseren freien Willen. Sie umfasst alles was uns durch unsere fünf Sinne zugänglich ist: Sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen. Was wir sehen, das sehen wir draußen in der Welt, wo es sich befindet. Schon hier müssen Computer passen, sie können nicht nach außen sehen. Alles spielt sich für sie in ihrem Inneren ab, in der softwaretechnischen Simulation dessen, was ihnen ihr Modell von der Welt sagt.

Was wir Menschen wahrnehmen, löst Empfindungen aus, und diese sind mit kognitivem Erkennen und mit Gefühlen verbunden. Wir verfügen über ein Bewusstsein und sind uns unserer selbt bewusst. Unsere Erfahrungen können wir erinnern.

Bescheidener Kenntnisstand

Unsere Wissenschaft, von den Naturwissenschaften über die Biologie bis hinein in die Medizin, folgt - von ein paar Ausnahmen abgesehen - dem Glaubenssatz eines monistischen Materialismus, das heißt: Die reale Welt besteht aus Materie, aus ihr leitet sich alles ab. Es gilt, was man berechnen und messen kann.

Mit mentalen Prozessen und dem menschlichen Geist tut sich die Naturwissenschaft schwer. So vertreten die Neurobiologen überwiegend die Auffassung, dass unser Gehirn erst unseren Geist erzeugt, quasi als Eigenschaft des Gehirngewebes. Wir können mit hochentwickelten Techniken alles verfolgen, was in unserem Kopf landet, die Wahrnehmung einer grünen Wand z.B. über die Sehstäbchen und Sehzäpfchen, die Umwandlung in elektroísche Impulse, die Weiterleitung dieser Signale über den Thalamus bis zum visuellen Cortex der Großhirnrinde und dann zu weiteren visuellen Arealen. Das alles können wir mit bildgebenden Verfahren unserer hochtechnisierten Medizin gut sichtbar machen. Aber wo die Empfindung der grünen Farbe im Gehirn entsteht, wissen wir nicht. Niemand hat es je beobachtet, sichtbar gemacht oder gemessen. Vielmehr wird angenommen, dass in sogenannten neuronalen Korrelaten das Gehirn die geistigen Zustände, z.B. das Empfinden der Farbe erzeugt. Aber gefunden, gesehen und gemessen hat das noch niemand.

Verpasste Hinweise

Zweifel an dem monistischen Materialismus lieferte bereits die Quantenphysik, die das Bild der klassischen Physik an vielen Stellen irreversibel in Frage gestellt hat - hier ein paar wichtige Beispiele:

  • Das Rätsel um die Doppelnatur von Elementarteilchen: In der klassischen Physik sind Teilchen und Wellen klar voneinander getrennt. In der Quantenphysik können Teilchen (wie Elektronen) sowohl Wellencharakter aufweisen als auch Teilchen sein. Man kann nicht wissen was sie sind bis man nachgemessen hat.
  • Überlagerung: Teilchen wie Elektronen oder Photonen können gleichzeitig in mehreren Zuständen existieren (sie befinden sich in sogenannter Superposition). Das ändert sich erst, wenn sie gemessen werden. Erst dann nimmt das Teilchen einen bestimmten Zustand an.
  • Das Geheimnis der Verschränkung von quantenphysikalischen Objekten: Sie können eine unsichtbare Verbindung unabhängig von ihrer Entfernung voneinander haben. Wenn einem Objekt etwas passiert, geschieht auch sofort etwas mit dem anderen Objekt. Diesen verschränkten Objekten wird eine nicht-lokal genannte Eigenschaft zugeordnet, die zum Ausdruck bringen soll, dass sie über gemeinsame Merkmale verfügen, die sich instantan, d.h. sofort ohne auch nur den geringsten Zeitverzug über große Entfernungen ändern können, ohne dass eine Kraftübertragung erforderlich ist.

Die Konsequenz: Sobald man die makroskopische Welt verlässt und heruntersteigt in die subatomaren Strukturen, dürfen wir getrost vergessen, was Menschen bisher über die real existierende Welt gedacht haben.

Ausflug in die Quantenphysik

Die Physik braucht Mathematik für alles, was sie erklären oder beschreiben kann. Mathematik ist sozusagen ihre Sprache. Das stellt sich in der klassischen, sog. Newtonschen Physik ganz einfach dar. Alle Naturerscheinungen, die Masse, die Kraft, die Geschwindigkeit, Beschleunigung usw. lassen sich mit reellen Zahlen beschreiben und messen. Unsere Technik-Erfolge verdanken wir dieser Mathematik und Physik.

In der Quantenphysik wird es auf einmal kompliziert. Die oben aufgezählten seltsamen Erscheinungen konnte man erst erklären, als es eine Mathematik gab, mit deren Hilfe man sie beschreiben konnte. Das geschieht mit Hilfe komplexer Wellenfunktionen, die für alle Eigenschaften eines quantenphysikalischen Objekts (z.B. ein Teilchen wie ein Elektron oder Photon) nur die Möglichkeiten, genauer die Wahrscheinlichkeitsamplituden für ihr Auftreten beschreiben. Erst im Messvorgang z.B. eines Experiments wird ein realer Zustand erzwungen. Die Quantenphasiker nennen das den Kollaps der Wellenfunktion.

Diese Phänomene erschüttern die bis dahin für gültig betrachteten Vorstellungen von einer real existierenden, von uns unabhängigen Welt. Wenn wir genauer hinschauen, in die subatomare Welt, finden wir die uns vertraute Realität nicht mehr. Diese stellt sich erst bei großen Objekten durch Überlagerung unvorstellbar vieler quantenphysikalischer Zustände ein. Um das anschaulich zu machen: Man kann ausrechnen, dass ein Wassertropfen etwa eine Trilliarde Moleküle (mathematisch 10²¹) enthält. Im quantenphysikalischen Modell sind das Trilliarden von Wellenfunktionen, die sich in Interferenz überlagern. Die Statistik so unvorstellbar vieler kleiner und kleinster Zustände ergibt für uns das Bild der realen Welt, die sich gut durch die Newtonsche Physik erklären lässt. Die Verschränkung von Elementarteilchen lässt sich in dieser klassischen Physik der großen Dinge nicht mehr beobachten.

Das hat viele spannende Gründe. Verschränkte Zustände sind sehr störanfällig. Sie hängen von der Art der Teilchen ab, von der Temperatur, von externen Kraftfeldern wie z.B. elektromagnetischen Wellen und generell von der Wechselwirkung mit der Umgebung, die zu einer Dekohärenz, zum irreversiblen Verlust der betroffenen Quanteneigenschaft führt.

Wenn wir aber wissen wollen, wie man mentale Prozesse besser beschreiben kann, müssen wir nochmal in die Mathematik der quantenphysikalischen komplexen Wellenfunktionen zurück. Diese Mathematik besteht aus Teilen mit reellen Zahlen und Teilen mit imaginären Zahlen.

Hier schauen wir kurz auf eine seltsame Laune der Mathematik, nämlich wie sie mit reellen und imaginären Zahlen umgeht. Wenn Sie sich durch die höheren Stufen des Schulsystems gequält haben, haben Sie die Bekanntschaft der imaginären Zahl i gemacht, der Quadratwurzel aus -1. Anders ausgedrückt: i multipliziert mit i ergibt -1. Für unsere Betrachtung ist wichtig, dass man aus der Multiplikation imaginärer Zahlen wieder eine reelle Zahl erhält. Mit imaginären Zahlen beschriebene Vorgänge können wir natürlich nicht beobachten. Aus Imaginärem kann aber unter bestimmten Umständen Reelles werden.

Die quantenmechanische Wellenfunktion beschreibt vor einer Messung den Gesamtzustand des untersuchten Objekts als die Summe aller möglichen einzelnen Zustände, jeder davon multipliziert mit einer imaginären Zahl, die eine Information über die Wahrscheinlichkeit für das Auffinden dieses Zustandes enthält. Es ist furchtbar anstrengend, mit verständlicher Umgangssprache diese Dinge zu beschreiben. In mathematischer Schönheit sieht das ganz einfach aus:

 

Das Symbol steht für die Wellenfunktion des gesamten Objektes, und beschreiben die beiten ersten möglichen Zustände des Objekts. und sind imaginäre Zahlen, deren Quadrate die Wahrscheinlichkeiten beschreiben, die verschiedenen Zustände vorzufinden, z.B. für den ersten Zustand, und die Wahrscheinlichkeit ist natürlich eine reelle Zahl. Zusammegezählt ergeben alle Einzelwahrscheinlichkeiten die Zahl 1, die Sicherheit, dass einer der Zustände auch tatsächlich gefunden wird.

Durch den Messvorgang, oder allgemeiner ausgedrückt durch die Beobachtung, wird das Objekt in einen seiner möglichen Zustände gezwungen. Interessant für unsere weiteren Ausführungen ist, dass, bildlich gesprochen, aus Unbestimmtem, das mit Hilfe von imaginären Zahlen beschrieben wird, durch Beobachtung eine mit reellen Zahlen darstellbare Wirklichkeit wird.

Rüstzeug für die Beschreibung geistiger Prozesse

Es ist bemerkenswert, dass es ein Ingenieur und nicht ein theoretischer Physiker war, der Ulmer Professor Ralf Otte, der die quantenmechanische Mathematik, die aus einer reellen und einer imaginären Dimension bestehenden Algebra, um zwei weitere imaginäre Dimensionen erweitert hat. In dieser von ihm hyperkomplex genannten Mathematik gibt es die bisher schon benutzte Algebra, mit der sich die bekannte Quantenphysik darstellen lässt.

Quelle: Ralf Otte, Vorschlag einer Systemtheorie des Geistes, Göttingen 2016

Die erweiterte neuen hyperkomplexen Mathematik enthält noch eine andere Unter-Algebra, die nur aus imaginären Komponenten besteht. Diese Algebra ist ganz besonders interessant: Mit ihr können energielose und nicht-lokale, d.h. raumlose Zustände und Prozesse beschrieben werden, Prozesse, die nicht beobachtbar sind. Außerdem lassen sich mit ihr Wellenfunktionen und diverse mathematische Operationen darstellen, wie man sie aus der Quantenphysik kennt, wohlgemerkt alles im imaginären Raum. Das spielt sich jenseits unserer anschaulichen Vorstellung ab, sehr abstrakt, wie Mathematik halt so ist bzw. sein kann.

Angewandt auf die Vorgänge in unserem Gehirn, speziell die mentalen Prozesse, ergibt sich dann folgendes Bild. Wir nehmen an, dass in der atomaren Substruktur der Neurone und ihrer Verbindungen untereinander, speziell den Synapsen, quantenphysikalische Prozesse stattfinden. Für deren Darstellung haben wir die bekannten quantenmechanischen Wellenfunktionen, die sich mit Hilfe der ersten Unter-Algebra von Prof. Ottes hyperkomplexer Mathematik auch abbilden lassen. Hier handelt es sich um energetische Vorgänge, die im Prinzip messbar wären, wenn wir die entsprechenden Instrumente hätten, um in ein solches Neuron hineinzusehen und es bei seiner Arbeit zu beobachten.

Jetzt wird es spannend: Die mentalen Prozesse, zum Beispiel die durch die verarbeiteten Sinneseindrücke ausgelösten Empfindungen, können mit dem Rüstzeug der erweiterten Mathematik als imaginäre Wellenfunktionen beschrieben werden, haben keine Masse, keine reell darstellbare Energie, sind nicht-lokal, d.h. sie haben keine räumliche Ausdehnung und sind niemals direkt beobachtbar. Das ist unverkennbar ein neuer Schritt für die Naturwissenschaft, um sich mit geistigen Phänomenen zu befassen.

Die komplette hyperkomplexe Mathematik - mit beiden Unter-Algebren - ist theoretisch geeignet, mögliche Wechselwirkungen zwischen den quantenmechanischen Wellenfunktionen und den durch imaginäre Wellenfunktionen beschreibbaren mentalen Prozessen darzustellen.

Für die Praxis bedeutet das, es wäre mathematisch ausdrückbar, wie der Geist auf die Materie unseres Körpers einwirken könnte und umgekehrt. Der menschliche Geist brauchte nach dieser Theorie nicht mehr vom Hirngewebe erzeugt oder als eine noch nicht so recht verstandene Eigenschaft des Gewebes betrachtet werden. Die Verbindung der von den Sinnesorganen übermittelten elektrochemischen Signale im Gehirngewebe mit den Empfindungen und kognitiven wie gefühlsmäßigen Bewertungen ließe sich als Wechselwirkung auffassen, nämlich der quantenphysikalischen Wellenfunktion materieller Prozesse mit der imaginären Wellenfunktion mentaler Prozesse.

Warum ausgerechnet ein Ingenieur?

Warum ist das wichtig? Ingenieure haben einen anderen Zugang zur Welt als theoretische Wissenschaftler, deren Fokus darauf liegt, die Welt zu verstehen. Ingenieure wollen etwas bauen, und dafür brauchen sie eine genaue Beschreibung sowohl des Objektes als auch der Funktionen, d.h. seiner Leistungen und seiner Interaktion mit seiner Umgebung. Die Mathematik wird dafür gebraucht, diese komplizierten Verhältnisse zu beschreiben.

Wenn sich das von Prof. Otte entworfene Konzept praktisch anwenden lässt, wäre der Weg offen, Computer mit Eigenschaften bauen zu können, die bisher nur als mentale Leistungen betrachtet wurden.

Für alle Naturwissenschaftler gibt es eine große Verführung, nämlich der Glaube, dass es zu einem schlüssig dargestellten mathematischen Modell auch eine Entsprechung in der Wirklichkeit gibt. Dieses Isomorphiepostulat ist z.B. der Grund dafür, dass wir heute über sechzig Gruppen von Elementarteilchen haben. Ich hatte das Glück, während meines Physikstudiums einen Professor zu haben, der by the way meinte, dass es diese vielen Elementarteilchen vielleicht gar nicht gibt. Es ist ratsam, sich immer einen kritischen Blick auf die Modelle zu bewahren, mit deren Hilfe wir meinen, die Welt besser erklären zu können, Modelle sind schließlich nur Beschreibungen von Möglichkeiten..

Die Vorgänge in unserem Gehirn könnten nun in einem neuen Licht betrachtet werden. Bleiben wir der Einfachheit halber beim Sehen mit unseren Augen. In der subatomaren Struktur der betroffenen Neurone, so dürfen wir mit hoher Sicherheit annehmen, finden quantenphysikalische Prozesse statt. Sie sind mit dem mathematischen Instrumentarium der Quantenphysik als Wellenfunktionen darstellbar.

Jetzt stellt sich die Frage, wie wir das, was wir gesehen haben, auch empfinden können. Ähnlich wie die quantenphysikalische Wellenfunktion die nicht gemessene Natur der subatomaren Objekte beschreibt, würde die erweiterte hyperkomplexe Wellenfunktion die Prozesse in unserem Bewusstsein beschreiben und solche Informationen auch speichern können. Der Messvorgang in der Physik hat die Dinge erst in den gemessenen Zustand hineingezwungen. Auf der Ebene der mentalen Vorgänge kann man dieser Messung die sinnliche Wahrnehmung durch die Beobachtung gegenüberstellen. Bei dem Erblicken eines Objektes, sei es eine grüne Wand oder ein schreiendes Kind, würde im Augenblick der Beobachtung die hyperkomplexe Wellenfunktion „kollabieren“. Man kann vermuten, dass Rückwirkungen der immateriellen Prozesse auf die materiellen Komponenten im Gehirn die Rahmenbedingungen dafür liefern, dass wir das erblickte Objekt außerhalb von uns sehen, da, wo es sich tatsächlich befindet.

Nicht-Lokalität bedeutet, dass es keine räumliche Ausdehnung gibt. Aus der Perspektive des räumlichen Denkens betrachtet gibt es in dieser nicht-lokalen Welt keine Orte und Entfernungen. Alles ist mit allem verbunden. Wir haben noch keinen Zugang zu dieser Alles-mit-allem-verbundenen Welt. Das ändert sich erst mit dem Moment der Beobachtung. Wir können annehmen, dass jetzt erst eine Zuordnung zu einem Ort erfolgt. Das beobachtete Objekt wird uns bewusst. Möglicherweise ist dies die Stelle, an der das Gehirn die Vorstellung herstellt, dass wir aus uns heraus sehen können, unser Blick also auf dem betrachteten Objekt liegt, das wir ja deutlich außerhalb von uns wahrnehmen.

Ein Computer heutiger Bauart dagegen kann niemals aus sich herausschauen. Er kann sich nur intern mit dem Modell seiner simulierten Welt beschäftigen. Er kann sozusagen nur seine innere Welt „wahrnehmen“.

Zugegeben, es ist schwierig, sich das alles vorzustellen und es in normaler Sprache zu beschreiben. Zum Trost: Albert Einstein hat den ganzen Rest seines Lebens nach der Relativitätstheorie damit verbracht, über die Geheimnisse der Quantenphysik zu grübeln. Die Quantenphysik hat das nicht-lokale Phänomen der Verschränkung auch nur feststellen, aber nicht erklären können. Hyperkomplexe Wellenfunktionen würden das geistige Handwerkszeug liefern, um mit dieser seltsamen Eigenschaft der Nicht-Lokalität umzugehen.

Wenn Prof. Ottes Theorie sich als haltbar erweist, hätte sie eine vergleichbare Sprengkraft wie vor über 500 Jahren das kopernikanische Weltbild. Damals hat es rund hundert Jahre gedauert, bis anerkannt war, dass die Erde nicht Mittelpunkt des Universums ist, sondern sich um die Sonne dreht. Auch hier war es die Mathematik der Keplerschen Gesetze, die das neue Weltbild begründet hat. Wenn die Ideen des Ulmer Professors eine Plausibilitätsprüfung bestehen, dann steht uns eine neue Natur-Wissenschaft in Aussicht. Sie würde die derzeit als mentale Prozesse und Zustände beschriebenen Phänomene in einem gemeinsamen Rahmen mit den bisher bekannten physikalischen Gegenständen und Prozessen betrachten können. Viele Rätsel unserer Welt würden in einem anderen Licht erscheinen, zum Beispiel die vielen Phänomene, die von den etablierten Wissenschaften in den Bereich der Parapsychologie abgeschoben werden. Eine Systemtheorie von Geist und Materie könnte zu einer einheitlichen Theorie weiterentwicket werden, die auch Platz für die Erforschung des Bewusstseins böte. Damit wären wir wieder beim Thema.

Stufen des Bewusstseins

Wir haben gute Gründe für die Annahme, dass es ohne Leben kein Bewusstsein gibt. Man kann darüber streiten, ob man Pflanzen schon ein Bewusstsein zuordnen kann. Bei Tieren jedenfalls können wir das nicht mehr ausschließen. Wir Menschen halten uns zugute, uns unserer selbst bewusst zu sein, also über ein Selbstbewusstsein zu verfügen. Es gibt also Stufen von Bewusstsein.

Bei der Frage, ob unbelebte Materie auch über ein Bewusstsein verfügt, scheiden sich die Geister. In der Panpsychismus genannten Theorie wird die Auffassung vertreten, dass Bewusstsein eine grundlegende Eigenschaft des Universums ist und in allen Formen von Materie vorhanden ist, also auch dass Elementarteilchen wie Photonen, Elektronen und Atome über eine rudimentäre Form von Bewusstsein verfügen.

Greift man die Überlegungen von Prof. Otte auf, so kann man diese Vorstellungen dahingehend abändern, dass allen uns bekannten Elementen der Natur grundsätzlich die Fähigkeit innewohnt, ein Bewusstsein ausbilden zu können. Allerdings bedarf es einer gewissen Komplexität, um erkennbare Bewusstseinsformen in Erscheinung treten zu lassen. Unser menschliches Bewusstsein ist ohne das sehr komplexe Hirngewebe nicht denkbar. Es sind also Vorstellungen über unterschiedliche Bewusstseinsstufen plausibel. Die uns bisher bekannte höchste Stufe ist ein zum Selbstbewusstsein fähiges Bewusstsein. So bleibt offen, ob auch unbelebte Materie Rahmenbedingungen für sicher sehr niedere Formen von Bewusstsein schaffen kann.

Wenn wir auf die Zellen lebender Wesen schauen, fällt weiter auf, dass sie die kompletten Baupläne ihrer selbst in ihrem Zellkern enthalten, als DNA oder RNA mit allen Detailinformationen, wie der ganze Organismus aufgebaut ist. Sie haben damit alle die wichtige Eigenschaft der Selbstreferenz, die möglicherweise eines der Geheimnisse des Lebens darstellt.

So stellt sich die Frage, ob unsere Ingenieure eines schönen Tages technische Systeme bauen können, deren Basiselemente über die Eigenschaft einer Selbstreferenz verfügen, bisher unbekanntes Terrain.

Ralf Otte: Maschinenbewusstsein,
Frankfurt 2021

Sind Maschinen mit Bewusstsein möglich?

Ralf Otte hat ein weiteres bemerkenswertes Buch mit dem Titel Maschinenbewusstsein geschrieben, mit einem differenzierten Überblick über die Leistungen künstlicher Intelligenz, aber auch ihrer Leistungsgrenzen.

Er sieht einen wichtigen Grund für diese Leistungsgrenzen darin, dass derzeitige KI nur mit digital darstellbaren, berechenbaren Dingen umgehen kann. Als zweiten wichtigen Grund benennt er den Tatbestand, dass die Leistungen der heutigen KI ausschließlich durch Software erbracht werden.

Das menschliche Gehirn - immerhin das Vorbild der Künstlichen Intelligenz - kennt keine Trennung von Software und Hardware. Neurone, ihre Verbindungen untereinander mit Axonen, Dendriten und Synapsen sind an allen Vorgängen im Gehirn beteiligt. Jede Beobachtung, jede Erfahrung, die wir machen, löst physikalische und chemische Veränderungen im Gehirn aus. Der beobachtbare Teil des Gehirns zeigt uns, dass Neurone neu entstehen oder auch wieder abgebaut und vor allem neue Verbindungen hergestelt oder bestehende Verbindungen abgeschwächt werden können. Das alles passiert ohne dass wir davon Notiz nehmen müssen.

Computer dagegen tun sich im Umgang mit den nachgebauten Gehirnfunktionen schwer. Die Sprachmodelle heutiger Neuronaler Netze müssen aufwendig trainiert werden, durch millionen-, milliardenfache Wiederholungen von Operationen mit ihren Trainingsdaten. Bei jeder Trainingsaktivität werden die als Parameter bezeichneten Milliarden bzw. Billionen von Verbindungswerten der künstlichen Neurone verändert. Das ist nur möglich, weil die Operationsdauer der Computer im Bereich von Nanosekunden (also milliardstel Sekunden) liegt und eine massive Parallelverarbeitung auf Hochleistungscomputern erfolgt. Viele Milliarden Male müssen Abermilliarden Verbindungswerte neu berechnet, verändert und gespeichert werden. Fragt man sich, wie oft ein Kind auf eine heiße Herdplatte fassen muss, um zu lernen, so etwas lieber nicht mehr zu tun, so sieht man wie groß der Kontrast zum computersimulierten Lernen ist. Ein Mensch benötigt bis zu 1000 Mal weniger Lernbeispiele als die Deep Learning-Spitzenprodukte der Künstlichen Intelligenz, so Prof. Otte in einem seiner zahlreichen Vorträge. Ein Kind kann nach drei bis fünf Beispielen Hunde von Katzen unterscheiden, die KI-Programme brauchen dafür 3000 bis 5000 Beispielbilder. Nach etwa einer bis zwei Millionen gesprochener Sätze kann ein Kind in der Regel sehr gut sprechen, bei ChatGPT müssen es ein bis zwei Milliarden Sätze sein. Otte nennt diesen Sachverhalt das Lernparadox Eins-zu-Tausend.

So liegt der Wunsch nahe, Computer zu bauen, die sich die Wahrnehmung ihrer Außenwelt nicht mehr errechnen müssen und deren künstliche Intelligenzleistungen nicht nur durch Software erbracht werden, sondern bei denen die Physik ihrer Hardware auch eine aktive Rolle spielt. Diese Art von Computer hat auch schon einen Namen, obwohl man sie noch nicht kaufen kann. Sie werden neuromorphe Systeme genannt.

Memristoren


Memristor

Neuromorphe Computer benutzen hardwaretechnische Elemente, die mehr können müssen als nur Bits zu speichern. Die Hoffnung richtet sich auf die Memristoren. Sie stellen Bauelemente dar, von denen man erwarten kann, hardwaretechnisch die neuronalen Vorgänge im Gehirn durch Widerstände, Spulen, Kondensatoren und Transistoren zumindest teilweise nachbauen zu können.

Memristoren gibt es schon seit längerer Zeit. Sie benutzen Fähigkeiten bestimmter Halbleitermaterialien und passen ihren elektrischen Wierstand kontinuierlich in Abhängigkeit der Stärke und Dauer des Stromdurchlaufs durch Veränderungen in ihrem Material an. Diese Veränderungen bleiben auch dann erhalten, wenn der Strom abgeschaltet wird. Ihr weiterer Vorteil besteht darin, dass sie über eine analoge Speicherfähigkeit verfügen, also nicht der digitalen Einschränkung auf Werte von 0 und 1 unterliegen. So könnte man Fähigkeiten der Synapsen im Gehirn simulieren. Die Veränderungen geschehen direkt in der Hardware. Auch die Leistungen eines flüchtigen Kurzzeitgedächtnissses und eines stabilen Langzeitgedächtnisses lassen sich durch besondere Vorkehrungen simulieren. Durch Arrays mit mehreren Memristoren in Verbindung mit äußeren Speichermedien könnte man sogar eine Historie von Erinnerungen aufbauen.

Sensoren mit Memristoren könnten beispielsweise in neuromorphen Kameras verwendet werden. Die beobachtende Aktivität des Systems, in diesem Fall die Herstellung einer fotografischen Aufnahme, würde Veränderungen in seiner Hardware auslösen. In den subatomaren Strukturen der Sensoren einer solchen Kamera finden quantenphysikalische Prozesse statt, die sich durch Wellenfunktionen beschreiben lassen. Man kann jetzt spekulieren, was geschehen würde, wenn diese quantenmechanischen Wellenfunktionen mit den beschriebenen imaginären Wellenfunktionen, die mentale Prozesse beschreiben können, in Wechselwirkung treten, auch wenn es sich dabei um unbelebte Materie handelt.. Eine Teilhabe an den Eigenschaften der imaginären Wellenfunktion, vor allem an der Nicht-Lokalität könnte dann bewirken, dass eine solche Kamera „nach außen“ sehen kann. Sie müsste sich nicht damit begnügen, in ihrem Inneren auf ihren Sensoren in Bits umgewandelte Messwerte elektromagnetischer Strahlung zu speichern.

Wie dann allerdings verhindert werden kann, die so gewonnenen Informationen in der nächsten Verarbeitungsstufe zu einem Gesamtbild zu integrieren und nicht wieder durch Digitalisierung den gewonnenen Blick nach draußen zu zerstören, bleibt eine noch nicht gelöste Aufgabe, ebenso die Frage, ob damit schon wirklich eine autonome Wahrnehmung für das technische System möglich wird, also eine Wahrnehmung, die das Wahrgenommene auch bewerten kann.

Eine bloße autonome Wahrnehmung des augenblicklichen Zustandes bedeutet leider nur einen kleinen ersten Schritt. Um etwas mit dem Wahrgenommenen anfangen zu können, muss es bewertet werden. Das geht natürlich regelgetrieben oder besser algorithmusgesteuert, aber das ist dann alles andere als autonom. Eine Bewertung des Wahrgenommenen ist kaum ohne Zugriff auf vorangegangene Erfahrungen, also ein Gedächtnis, möglich. Hier die Leistungen unseres Geistes nachbauen zu wollen, rückt die Angelegenheit in ziemlich utopische Ferne, Stand heute, 2024. Unser Gedächtnis ruft schließlich nicht gespeicherte digitale Inhalte ab, sondern erzeugt das Ergebnis immer wieder aufs Neue. Ihm steht dabei neben kognitivem Inhalt der Zugriff auf Gefühle, eine mächtige, wenn nicht die mächtigste Form der Codierung, zur Verfügung (vgl. dazu Thomass Metzinger: Der Ego-Tunnel). Will man zwischen Emotionen und Gefühlen unterscheiden, so kann man letztere begreifen als die fürs Gedächtnis aufbereiteten Emotionen, alles in Abhängigkeit von der konkreten Lebenssituation (Ich sollte mich für diese komprimierte und vereinfachte Darstellung lieber entschuldigen). Etwas Gleichwertiges technisch nachbauen zu wollen, kann man schon mit Fug und Recht eine Herausforderung nennen. Am Beispiel des autonom fahren(wollen)den Autos heißt das: Wie sieht der nächste Schritt eines KI-Systems nach der autonomen Wahrnehmung aus?

Immerhin wäre gewonnen, dass man die Stufenleiter Wahrnehmung - Empfindung - Bewusstsein betreten hätte.

Wie geht es weiter?

Wenn es gelänge, mit Hilfe der neuromorphen Technik die durch die hyperkomplexen Funktionen beschreibbaren Prozesse des Systems zu verändern, dann wäre dieses System möglicherweise auch in der Lage, seiner Beobachtung eine Bedeutung zuzuordnen, alles allerdings (vorerst) noch auf einer sehr unteren Ebene. Diese Bedeutung wäre noch weit entfernt von dem, was wir Menschen gemeinhin unter Bedeutung verstehen. Der Vorstellung vom autonomen Fahren käme man aber ein Stück näher.

Die Frage bleibt, ob es höhere Formen von Bewusstsein ohne Leben geben kann. Wir haben weiter oben erwähnt, dass alles was lebt aus selbstreferenzierenden Einheiten (Zellen) aufgebaut ist. Für mineralische Stoffe ist dies nach bisherigen Erfahrungen nicht denkbar. Das könnte sich bei der Verwendung organischer Stoffe für die Hardware-Bausteine von Computern ändern.

Elektronik auf Kohlenstoffbasis, also organische Elektronik findet in einer immer größer werdenden Anzahl von Geräten Einsatz, in Displays, für Beleuchtung, in Solarzellen, Sensoren, Batterien und sogar in Textilien. Bioelektronische Systeme nutzen DNA-Moleküle, Proteine oder sogar lebende Zellen, um elektronische Funktionen zu erfüllen. Ionen statt Elektronen als Ladungsträger werden in biokompatiblen Schnittstellen verwendet, wo eine Kommunikation zwischen lebendem Gewebe und Elektronik hergestellt werden muss, z.B. bei Prothesen. Die Miniaturisierung elektronischer Bauelemente schreitet weiter bis zu nanozellulose-basierten Materialien z.B. für Kleidung mit eingebauten Computerfunktionen. Dem Bau von Computern mit organischen Bauelementen steht also nicht mehr viel entgegen. Doch die Innenwahrnehmungen, die sie möglicherweise ausprägen, können sie immer noch nicht bewerten und ihnen damit noch keine Bedeutung zuordnen. Sie wären zu Gefühlen nicht fähig.

Die nächste Stufe bestünde nun darin, Bauelemete herzustellen, die einen selbstreferenzierenden Charakter aufweisen. Diese sollten sich dann durch ihre Wahrnehmung aus eigener Kraft verändern können. Es gibt bereits Versuche, diese Lücke durch den Einbau lebender Zellen in die Elektronik zu schließen. Damit wären wir dann bei der biologischen KI. Wir lassen einmal die Schwierigkeiten beiseite, die sich allein schon daraus ergeben, dass diese Zellen für längere Zeit am Leben gehalten werden müssten. Sie könnten aber eventuell einen Beitrag leisten, wie die Schranke zwischen Wahrnehmung und Empfindung überwunden werden kann. Soweit wir wissen, entsteht allerdings aus einem großen Haufen lebender Zellen immer noch kein noch so bescheidenes Bewusstsein.

Verbotswürdige Irrwege

Die Verschmelzung von technischen und biologischen Systemen könnte dazu führen, dass eine KI von Zellen gesteuert würde, die über die Möglichkeit von Gefühlen verfügten. Wir könnten dann nicht mehr ausschließen, dass diese Zellen ein Unwohlsein empfinden und einen Willen ausprägen, wie sie dafür Abhilfe schaffen könnten, z.B. wenn es sich bei diesen Zellen um Nervenzellen aus dem menschlichen Cortex handelt. Und die Phantasien von der Superintelligenz, die sich vom Störenfried Menschheit befreien will, würden damit in den Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken.

Wir haben nicht die blasseste Ahnung, wie Leben entsteht. Wir haben aber viel Erfahrung, wie man bestehendes Leben verschandeln und vermurksen kann. Es ist nicht vorhersagbar, was aus der Verbindung biologischer Zellen mit Elementen der traditionellen Computertechnik entsteht. Wir sollten auf solche Experimente aus der Frankenstein-Vorhölle entschieden verzichten und diese Art von Transhumanismus-Phantasien mancher Tech-Milliardäre eine deutliche Absage erteilen.

Eine Verschärfung der Probleme um den Transhumanismus ist von der wachsenden Machtkonzentration der BigTech-Konzerne zu erwarten. Sie schaffen es sogar, sich an die Spitze der Regulierungslobby zu setzen, genau wissend, dass sie sich durch den erhöhten Aufwand ihre Konkurrenz vom Leibe halten, ein Aufwand, den die kleineren Firmen nicht aufbringen können.

Fazit

Die Zeit ist überreif für ein organisiertes Nachdenken darüber, wie wir mit der KI-Technik, ihren Anwendungsfeldern und ihren Produzenten umgehen wollen.

 

Karl Schmitz Oktober 2024