KI: Schwieriges Terrain für Betriebsräte

Eine Medaille mit zwei Seiten, die Vorderseite: Begeisterter Jubel

Mit ChatGPT Ende 2023 hatte die Technik der Künstlichen Intelligenz einen fulminanten Durchbruch. In normaler Sprache kann man sich mit einem Computer über nahezu beliebige Themen unterhalten, kein Gestotter mehr wie bei Siri oder Alexa mit ihrem eingeschränkten Vokabular. Das Fortschrittliche und Nützliche über fast jeden Zweifel erhaben, Begeisterung unvermeidbar.

Microsofts Milliarden waren nicht schuldlos beim Vorwärtskatapultieren der bis dato wenig bekannten Firma OpenAI. Google, eigentlicher Erfinder der Technik, war zu langsam und musste mit Gemini nachziehen. Schnell tauchen weitere Mitspieler auf und kämpfen um die Spitzenposition, zumindest was die Technik betrifft: Claude von Athropic, Groc von Elon Musks X.ai und neuerdings auch die Chinesen mit DeepSeek, einem bis dahin ziemlich unbekanntem Start-Up, Ernie von Baidu und so weiter. Jedes zumindest größere westliche Unternehmen ist längst dabei, sich seine eigenen Chatbots zu schaffen, meist bestehend aus gängigen Sprachmodellen, zusätzlich trainiert mit speziellem Wissen, das die Firmen für sich selber ausgesucht haben.

Die Kehrseite: Düstere Prognosen

Alles bestens, wenn da nicht die Unternehmensberatungen wären, die mit ihren Prognosen über ungeahnte Rationalisierungsgewinne in den Augen der Finanzmanager der großen Konzerne die Dollarzeichen aufblitzen ließen. Mit einem Male rückten die bisher von arbeitsplatzvernichtenden Rationalisierungswellen verschont gebliebenen Büroarbeitsplätze in den Fokus.

Drohender Arbeitsplatzverlust: Wenn es sich nicht gerade um Redaktionen von Zeitschriften, Zeitungen oder Einrichtungen mit Rechercheaufgaben handelt, sind es nicht die Chatbots alleine, die zu nennenswertem Arbeitsplatzabbau führen werden. Die Rationalisierungsgefahr entsteht vor allem, wenn Chatbots oder vergleichbare Systeme mit Workflows verbunden werden. Dann entstehen aus bisherigen Assistenz-Systemen mit einem Male Agenten-Systeme. Diese wickeln selbsttätig durch Workflows verkettete Arbeitsfolgen automatisiert ab. Menschen werden - wenn überhaupt - nur noch für vergleichbar wenige Supervisionsfunktionen benötigt. Alle KI-Anbieter bis hin zu den ERP-Lieferanten arbeiten fieberhaft an solchen Systemen und überfluten den Markt mit teils auch sinnbefreiten Lösungen. Hier liegt das eigentliche Rationalisierungspotenzial. Selbst wenn das Ausmaß der negativen Folgen hinter aktuellen Prognosen zurückbleibt, so entsteht dennoch Unsicherheit und Angst.

Veränderte Arbeitsplätze: Entscheidender als der Wegfall von Arbeiten ist ein anderer Effekt. Die sog. Generative Künstliche Intelligenz ist eine Universaltechnik, d.h. buchstäblich keine Arbeit, die irgendwo mit Technik zu tun hat, wird von ihrem Einfluss verschont bleiben. Für die Beschäftigten heißt das: Wer keine KI-Kompetenz erwirbt, wird früher oder später mit seiner bisherigen Arbeit Schwierigkeiten bekommen. Einzige Abhilfe ist der Erwerb solcher Fähigkeiten, beispielsweise durch arbeitsbegleitende Qualifizierungsprogramme.

Schleichende Prozesse: Das Tückische an der Integration Künstlicher Intelligenz in die Arbeitsprozesse ist der schleichende Charakter dieser Veränderungen. Es sind keine augenfälligen großen sprunghaften Veränderungen, die nur in seltenen Fällen die betriebsverfassungsrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsänderung, eines Interessens- oder gar Nachteilsausgleichs (Sozialplan) erfüllen. Unterstützt wird die „Heimlichkeit“ der Veränderungen durch die Politik der Systemanbieter, die unter dem Etikett permanenter Innovation automatisch Updates und Upgrades ihrer Produkte ausliefern, auf deren Nutzung die anwendenden Firmen meist keinen oder nur stark eingeschränkten Einfluss haben.

Neuartige Überwachung: Die Fähigkeit der Systeme, auch Stimmungen und Emotionen zu erkennen, eröffnet bisher nur mit hohem Aufwand mögliche Überwachungen und stellt damit eine neue Dimension von Verletzbarkeit der Persönlichkeitsrechte dar.

Das alles macht die Angelegenheit für Betriebsräte so schwierig. Das Betriebsverfassungsgesetz ist ein statisches Regelwerk, nach dem Motto: Wenn Überstunden anstehen, dann hat der Betriebsrat mitzubestimmen, und dann ist die Angelegenheit entschieden. Das Gesetz tut sich schwer mit Prozessen, die sich zeitlich langsam verändern. Dieses Defizit lässt sich nur durch die Vereinbarung von Verfahrensregeln ausgleichen.

Fassen wir zusammen: Es geht um die Gefährdungsfelder

  • Drohender Arbeitsplatzverlust,
  • Qualifikationsdefizite und
  • Neue Dimension der Überwachbarkeit.

 

Was kann man tun?

Das Entwicklungstempo der KI-Technik ist hoch, Anwendungskonzepte entstehen so schnell wie sie auch wieder verworfen werden. In einer solchen Situation ist klar, dass es keine einfachen Rezepte gibt, an denen sich Betriebsräre orientieren können. Dennoch lässt sich einiges tun:

  • Eigene Kompetenz stärken: Jedes Betriebsratsmitglied sollte wissen, wie die Technik tickt: Neuronale Netze und Sprachmodelle, ihr Training, wichtige Anwendungsfelder, Chancen und Risiken, erwartbare Folgen. Eine realistische Einschätzung sowohl über die Leistungen als auch die Leistungsgrenzen der Technik ist für die eigene Meinungsbildung unverzichtbar.
  • Für Transparenz im Unternehmen sorgen: Die Strategie und die Aktivitäten des Unternehmens rund um die KI müssen im Unternehmen bekannt sein. Wenn das nicht geschieht, kann der Betriebsrat darauf drängen. Es ist wichtig für alle Beschäftigten, die Unsicherheit über die Zukunft und übertriebene Ängste um die Arbeitsplätze durch einen realisischen Blick auf die Dinge zu ersetzen.
  • Beteiligungsverfahren aufbauen: Viele Unternehmen haben leider keine durchgängige Strategie über den Einsatz der KI-Technik. Oft handelt es sich um nur lose oder gar nicht koordinierte lokale Aktivitäten. Deshalb ist es schwierig, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, so lange die Schwerpunkte der unternehmerischen Aktivitäten nicht klarer erkennbar sind. In diesem Stadium abgeschlossene Regelungen hätten eine vermutlich sehr kurze Halbwertszeit. Der Betriebsrat sollte deshalb vorzugsweise auf einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch drängen. Gegenstand sollte nicht nur die Technik selber sein, sondern vor allem ein Ausblick auf die hauptsächlich betroffenen Teile der Beschäftigten und die hier absehbaren Folgen. Sobald sich ein belastbares Unternehmenskonzept abzeichnet, ist die Zeit reif für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung.
  • Pilotprojekte eignen sich bestens, um Kompetenz aufzubauen. Die Unternehmensseite hat bezüglich ihrer Kompetenz ähnliche Probleme wie die Betriebsräte. Die Technikentwicklung ist rasend schnell, Kompetenzen sind oft nur lokal vorhanden und begnügen sich auf der obersten Managementebene nicht selten mit den Verlautbarungen von Unternehmensberatungen. Die Aussprache über die Auswahl solcher Projekte, die Festlegung der Zweckbestimmung, die Auswahl der Trainingsdaten und -methoden und vor allem die Bewertung der Ergebnisse gehören in einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch.
  • Qualifizierung der Belegschaft: Mit Blick auf die Beschäftigten der wichtigste Aspekt. Es sollte nicht allein den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern überlassen bleiben, was sie für den Erwerb ihrer Kompetenz tun. Hier ist das Unternehmen gefragt, ein Konzept vorzulegen und auch umzusetzen. Und es ist der Job der Betriebsräte, dafür zu sorgen, dass dies auch geschieht und einer laufenden Qualitätskontrolle unterworfen wird. Das bloße Angebot von ein paar freiwilligen Online-Self-Learnings bleibt weit hinter dem Notwendigen zurück.
  • Ausschlussregeln: Es gibt kritische Anwendungsbereiche, wo eine klare Grenzziehung geboten ist. Das betrifft vor allem Systeme, die Entscheidungen über Menschen treffen, biometrische Merkmale auswerten oder Stimmungen und Emotionen erfassen. Der Einsatz solcher Systeme bzw. die Verwendung solcher Systemfunktionen sollte kategorische ausgeschlossen werden. Viele Systeme bieten solche Leistungen nur als Vorschläge für Entscheidungen an. Hier ist durch geignete Regelungen zu gewährleisten, dass es auch bei Vorschlägen bleibt, ein manchmal sehr schwieriges Unterfangen.
  • Betriebsvereinbarung: Dies ist der vorläufige Endpunkt des hier vorgeschlagenen Weges. Bezugnehmend auf gesammelte erste Erfahrungen lassen sich Regelb aufstellen. Sie werden eher Prozesscharakter haben statt detailliert festzulegen, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Wenn man Spielregeln aufstellt, so ist es wichtig, dass sie verständlich formuliert sind, einer laufenden Bewertung unterzogen werden und zeitnah korrigiert bzw. ergänzt werden. Ein Beispiel.
Karl Schmitz • März 2025